Advent der besten DACH-ESC-Beiträge (5): Eine Künstlerin mit Herz und Haltung

Wir haben Euch im letzten Monat nach Euren liebsten ESC- und Vorentscheidungs-Beiträgen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland gefragt – einen lieben Dank an dieser Stelle an alle, die dabei so fleißig mitgemacht und so insgesamt 154 unterschiedliche Beiträge in die Auswahl gebracht haben. Diese haben wir ausgewertet und präsentieren Euch nun Eure liebsten 24 Beiträge der sogenannten DACH-Länder – jeden Tag einen neuen. Bis Heiligabend!

 

Platz 20: Katja Ebstein „Diese Welt“ (Deutschland 1971)

Nachdem wir vor zwei Tagen mit Mary Roos schon an eine der ganz großen deutschen Sängerinnen erinnern konnten, dreht es sich heute um „Diese Welt“ von Katja Ebstein, mit dem sie 1971 am Eurovision Song Contest pardon, dem Grand Prix Eurovision de la Chanson teilnahm. Wie wir wissen mag Katja den Namen Eurovision Song Contest – oder noch schlimmer die Abkürzung ESC – nicht. Obwohl Katja Ebstein laut eigener Auskunft gar nicht Sängerin werden wollte, sondern Archäologin, ist ihr Name und ihre Karriere bis heute untrennbar mit ihren musikalischen Auftritten und Erfolgen beim Grand Prix verknüpft.

Nach anfänglich kleineren Auftritten in Studentenkneipen und einem kleinen Engagement bei der ARD, wurde der damals bekannte Produzent Heino Gaze auf Katja Ebstein aufmerksam und produzierte 1965 und 1966 ihre ersten beiden Lieder, die jedoch erfolglos blieben. Durch Heino Gaze lernte Katja aber schließlich den Produzenten und Komponisten Christian Bruhn kennen. Eine gewinnbringende Begegnung, nicht nur im musikalischen Sinne, denn Christian Bruhn begleitete fortan nicht nur Katjas Produktion, sondern wurde auch ihr erster Ehemann. Mit dem eilig für den deutschen Vorentscheid geschriebenen „Wunder gibt es immer wieder“ entstand ein Meilenstein. Die damals noch nicht sehr bekannte Katja Ebstein gewann nicht nur den Vorentscheid vor heute bekannten Schlagergrößen wie beispielsweise Mary Roos, Reiner Schöne und Roberto Blanco, sie erreichte damit auch zum ersten Mal für einen deutschen Beitrag den 3. Platz in Amsterdam. Nur der irische Hit „All Kinds of Everything“ von Dana und der britische Hit „Knock, knock, who’s there“ von Mary Hopkin bekamen ein paar Pünktchen mehr. Für Katja war dieser 3. Platz nicht nur national der musikalische Durchbruch, sondern auch der internationale. So wurde „Wunder gibt es immer wieder“ weltweit auf Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Italienisch und Japanisch veröffentlicht.

Nach diesem großen Erfolg hielten die Verantwortlichen an Katja fest und im folgenden Jahr wurde eine Vorentscheidung durchgeführt, in der sie insgesamt sechs Lieder von unterschiedlichen Komponisten vortrug – darunter war auch der Beitrag „Alle Menschen auf der Erde“ vom späteren Ehemann Christian Bruhn. Bewertet wurden die Lieder von einer 10-köpfigen Jury, zusammengesetzt aus Musikexperten und unter 25-jährigen Musiklaien. Es gewann schließlich recht eindeutig „Diese Welt“ von Dieter Zimmermann und Fred Jay, das sich textlich mit dem Thema Umweltschutz beschäftigt. „Diese Welt“ ist damit der erste Titel über Umweltschutz beim Eurovision Song Contest. Wer möchte, kann sich hier übrigens den kompletten 1-stündigen Vorentscheid anschauen – nicht nur durch Katja Ebstein empfehlenswert, auch das für die Pausen engagierte Pamela Davies Ballet lohnt natürlich einen näheren Blick.

Der Grand Prix in Dublin kam nicht nur mit einem neuen Wertungssystem (nun konnten bis zu 10 Punkte pro Jury und Lied vergeben werden) daher, auch durften ab 1971 bis zu sechs Musiker auf der Bühne stehen. Katja Ebstein gelang das Unglaubliche: Mit glatten 100 Punkten erreichte sie erneut den 3. Platz, hinter dem wohl bekanntestem Loch im Kleid von Karina aus Spanien und ihrem tollen „En un mundo nuevo“ sowie der Gewinnerin Severine für Monaco mit ihrem „Un banc, un arbre, une rue“. Da hatte sogar der große britische Hit „Jack in the Box“ von Clodagh Rodgers das Nachsehen und landete auf Platz 4. Der erneute Erfolg stärkte die junge Karriere von Katja Ebstein und sie erhielt zahlreiche nationale wie internationale Auszeichnungen, tourte mit James Last und avancierte zu einer der erfolgreichsten deutschen Schlagersängerinnen.

Auch 1980 gewann sie nochmal den deutschen Vorentscheid und durfte ein drittes Mal zum Grand Prix. Während die Niederlande nach Den Haag lud, musikalisch allerdings mit Maggie McNeal nach Amsterdam und die Schweiz mit Paola ins Kino (Cinema) lockte, breitete Katja Ebstein die Arme aus, um mit Hilfe von Ralph Siegel ins Theater einzuladen. Diesmal schnappte ihr nur ein gewisser Johnny Logan den greifbaren Sieg vor der Nase weg und verwies sie mit 128 Punkten erst in der letzten Wertung endgültig auf den 2. Platz. Unvergessen die emotionale Umarmung der beiden nach den letzten Punkten aus Belgien, während der sich Johnny Logan, wie Katja in ihrem Buch berichtet, für seinen Sieg entschuldigte, er brauche das Geld.

Bis heute ist Katja Ebstein von den Bühnen und aus dem Fernsehen nicht wegzudenken. So tanzte sie beispielsweise schon bei „Let’s Dance“ mit, war beim deutschen Vorentscheid 2008 Patin von Carolin Fortenbacher und erhielt im gleichen Jahr das Bundesverdienstkreuz für ihr soziales und künstlerisches Engagement.

Immer wieder war und ist Katja Ebstein auch politisch aktiv und hält sich mit ihren politischen und gesellschaftlichen Meinungen nicht zurück. Sie kommt aus der Studentenbewegung der 60er, unterstützte beispielsweise 1972 den Wahlkampf von Willy Brandt, setzte sich immer wieder für die Friedensbewegung ein und unterstützt als Mitglied die Organisation Attac, eine globalisierungskritische Nichtregierungsorgansation. Aus ihrer Privatinitiative entstand der Verein „Aktion Umwelt für Kinder und umweltgeschädigte Jugendliche“. 2004 wurde die Katja-Ebstein-Stiftung gegründet, die sich dem Thema Kinderarmut angenommen hat.

Eine Künstlerin mit Herz und Haltung.

 

Die bisherigen Adventstürchen findet Ihr hier:
Platz 24: Timebelle „Apollo“ + Cesár Sampson „Nobody But You“
Platz 23: Ben Dolic „Violent Thing“
Platz 22: Mary Roos „Nur die Liebe lässt uns leben“
Platz 21: Max Mutzke „Can’t wait until tonight“


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31 Comments
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Gaby
Gaby
3 Jahre zuvor

Toll, dass es „Diese Welt“ in den Adventskalender geschafft hat.😊
Ein wunderschöner, kraftvoller Song von einer tollen Frau. Obwohl ich Katja Ebstein als Mensch sehr mag, ist das der einzige Song von ihr, der mich musikalisch wirklich überzeugt. Und er paßt auch am besten zu ihr, weil sie ja eine aktive Umweltschützerin ist und viel zu kritisch für seichte Schlager.

Karin
Karin
3 Jahre zuvor

Wunder gibt es immer wieder von Katja Ebstein auf japanisch, was für eine Idee ? Kommt mir einen Tacken langsamer vor. Die japanische Entschleunigung? War es ein Charterfolg ?

Karin
Karin
3 Jahre zuvor
Reply to  manu

Lol☺

Christian
Christian
3 Jahre zuvor
Reply to  Karin

Das hat auch Udo Jürgens mit seinem Merci Cherie gemacht.

togravus ceterum
Mitglied
togravus ceterum
3 Jahre zuvor

Noch ein älterer Beitrag, mit dem ich nur wenig anfangen kann. Wenn schon ältere Beiträge, dann „Wartesaal“ oder „Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne“ …

Alki Bernd
3 Jahre zuvor

Och, nö, nicht der Wartesaal. Ich grübele bis heute über den Sinn des Textes, kriege aber immer Panik, wenn ich das düstere Geraune höre.

Alki Bernd
3 Jahre zuvor

Und eine bulgarische Monarchistin als Lösung deutscher Sangesprobleme? Das konnte nicht gut gehen….

Nilsilaus
Nilsilaus
3 Jahre zuvor
Reply to  Alki Bernd

Ich habe mal eine Visitenkarte von der Bulgarin Nora Nova (deutsche ESC-Vertreterin 1964; Letzte mit Null Punkten) gelesen und mich schrott gelacht:

Nora Nova

– Sängerin
– Schauspielerin
– Entertainerin
– Import
– Export

Porsteinn
Mitglied
Porsteinn
3 Jahre zuvor

Wir hätten wohl doch mitstimmen sollen. #justicefornora

Thomas M. (mit Punkt)
Thomas M. (mit Punkt)
3 Jahre zuvor

Von den beiden letzten Plätzen in den Mitt-Sechzigern gefällt mir „Paradies wo bist du?“ von Ulla Wiesner (1965) NOCH besser, vor allem in der Studioversion.,

togravus ceterum
Mitglied
togravus ceterum
3 Jahre zuvor

Ein portugiesischer ESC-Kumpel ist ebenfalls ein „Paradies wo bist Du?“-Fan. Ich liebe einfach die Energie von „Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne“, aber Ullas Beitrag ist auch i. O.

Gaby
Gaby
3 Jahre zuvor

Oh ja, „Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne“ ist wirklich ein schöner Klassiker. War zwar 1964 noch nicht auf der Welt, aber im Nachhinein finde ich die 0 Punkte echt ungerecht.☹️

togravus ceterum
Mitglied
togravus ceterum
3 Jahre zuvor
Reply to  Gaby

Mich gab es da auch noch nicht. 🙂

Thomas M. (mit Punkt)
Thomas M. (mit Punkt)
3 Jahre zuvor
Reply to  Gaby

Mich auch noch nicht, auch wenn ich mich vielleicht manchmal anders anhöre (aber was kann denn ich dafür, wenn früher alles besser war 😉 ).

Meikel
Meikel
3 Jahre zuvor

Eine wunderbare Sängerin deren Lieder ich immer noch gerne höre.
Witzigerweise hat sie in einigen Sendungen anlässlich ihres 75 (!) Geburtstages erzählt das sie nur an der Vorendscheidung 1970 teilgenommen hat um ihre erste LP bei United Artist zu promoten.

Thomas
Thomas
3 Jahre zuvor

Katja hat dazu beigetragen, dem Schlager ein Stück weit das extrem konservative Image zu nehmen.
Auf jeden Fall Eine Künstlerin mit Herz und Haltung, wie Manu so schön schreibt.
Das kommt besonders in meinem Lieblingstitel von Ihr zum Ausdruck, Ihre Interpretation von Adamos Inch Allah:

Nilsilaus
Nilsilaus
3 Jahre zuvor

Bei Katja Ebstein wird heute vergessen, dass sie damals beim deutschen Vorentscheid 1970 völlig unbekannt war. Sie hatte bei der Vorstellung ihres Liedes „Wunder gibt es immer wieder“ ihren ersten TV-Auftritt. Der Rest ist Geschichte.

Noch ein Novum, welches unter ESC-Fans kaum bewusst bekannt ist:

Katja Ebstein ist die einzige ESC-Teilnehmer*in bis heute, die bei ihren drei Teilnahmen 1970, 1971 u. 1980 jeweils ein völlig anderes Punktesystem mitverfolgen musste.

Nilsilaus
Nilsilaus
3 Jahre zuvor
Reply to  manu

Ah okay…das mit dem ersten TV-Auftritt hat Katja immer selbst erzählt. Nun ja, ist auch schon über 50 Jahre her 😉

Ich freue mich, dass der Zusatz dir gefällt.

usain1
3 Jahre zuvor

Die große Katja. „Diese Welt“ ist nicht so ganz meins, aber sie hat schon einige legendäre Klassiker geschaffen. „Und wenn ein neuer Tag erwacht“ zum Beispiel. Oder „Was hat sie, das ich nicht habe“ mit der schönen Textzeile „Sie hat für 20 Mark Kosmetik im Gesicht“. Und ich weiß bis heute nicht, ob das meint, das sei zu viel oder zu wenig…

Alki Bernd
3 Jahre zuvor
Reply to  usain1

20 DM waren damals viel, da bekam damals einen handelsüblichen Eimer Rouge für 😉

usain1
3 Jahre zuvor
Reply to  Alki Bernd

Ah, danke. Heute wäre es wohl eher wenig, schamlos was zum Beispiel Judith Williams allein für ihre Edelweiß-Tagescreme verlangt…

Porsteinn
Mitglied
Porsteinn
3 Jahre zuvor

Danke auch für den Link zur damaligen Vorentscheidung. Ein sehr schönes Stück Zeitgeschichte mit diesem kultigen Ballett.

Dass „Diese Welt“ in dieser Auswahl als Sieger hervorging, ist auch nicht weiter überraschend. Das einzige Lied, in dem es nicht irgendwie um Liebe geht. Und das einzige Lied, dass sie sichtbar im Studio singt und nicht vor einer Projektionswand. War der Song vielleicht der Favorit des Regisseurs, um ihm diese Sonderstellung zu geben?

floppy1992
Mitglied
floppy1992
3 Jahre zuvor

Ich finde alle drei Ebstein-ESC-Songs auf ihre Art großartig. Schade nur, dass „Diese Welt“ heute ein bisschen in Vergessenheit geraten ist, schließlich ist der Song 50 Jahre nach seiner Enstehung eigentlich aktueller denn je. Abseits dessen ist mein Katja-Lieblingssong aber „Ein Indiojunge aus Peru“! Allein diese Panflöten, herrlich 😀
Und es schimmert im Gegensatz zu einigen anderen eher banalen Schlagern, die sie in der Zeit gesungen hat (oder singen musste?) auch noch ein bisschen Sozialkritik durch.

Gaby
Gaby
3 Jahre zuvor
Reply to  floppy1992

Den Song hatte ich gar nicht auf dem Schirm. Klingt nicht schlecht, die Panflöten mag ich auch gerne.

Nilsilaus
Nilsilaus
3 Jahre zuvor

Bei dem Lied „Und wenn ein neuer Tag erwacht“ bekomme ich immer wieder Gänsehaut

https://youtu.be/7vhHqNgyxzg

Jorge
Jorge
3 Jahre zuvor

Ihre ersten Nummern finde ich süffig genug, um nicht weg zu schlummern und heben sich noch genug vom Mitklatschschlager ab. Thematisch halt das, was was man damals so gesungen hat. Aber zeitlich zu früh für mich, als dass ich eine emotionale Bindung dazu aufbauen konnte.

Ich fand ihre Aussagen früher klug und nicht oberflächlich – finde aber, dass sich im Lauf der Zeit zuviele Distanzierungen und bittere Noten untergemischt haben.

Thilo mit Bobby
Mitglied
Thilo mit Bobby
3 Jahre zuvor

Katja Ebstein ist für mich eine Ikone des Schlagers. Unvergessen ihre ESC Beiträge wobei Diese Welt als zweites Lied immer ein bisschen im Schatten der anderen beiden steht jedoch mindestens genauso schön ist wenn nicht sogar das beste ist.
Einer meiner Lieblingssongs von Katja ist noch dieser schöne Titel https://youtu.be/INUaKtEzaOQ

Uwe71
3 Jahre zuvor

Ich liebe diese Art von Threads hier so sehr: sie sind witzig, unterhaltsam und sehr aufschlussreich und nötigen einen dann anschließend zu stundenlangem ESC-Bingen auf Youtube. Ich könnt Euch dafür knuddeln. Danke auch an Manu an dieser Stelle für die viele Arbeit und die wirklich schön geschriebenen Geschichten.

Thilo mit Bobby
Mitglied
Thilo mit Bobby
3 Jahre zuvor

Katja Ebstein ist heute zu Gast bei ein Herz für Kinder im ZDF. Sie sitzt am Telefon und nimmt Spenden entgegen. Es gibt auch noch einigen ESC Bezug mehr. Barbara Schöneberger, Michael Patrick Kelly, Bernhard Brink, Florian Silbereisen, Thomas Anders