Sonnenfinsternis beim ESC 2022 in Turin: Zentrales Bühnenelement nicht einsatzfähig

Bild: Ateliermontinaro

Was in den vergangenen Tagen nur nach und nach bruchstückhaft an die Öffentlichkeit gekommen ist, ist nun traurige Gewissheit: Die Bühne in Turin wird bis zu den Live-Shows in der kommenden Woche nicht so einsatzfähig sein, wie es der Öffentlichkeit bei der Präsentation im vergangenen Februar in Aussicht gestellt und wie es vor allem den einzelnen Delegationen im Vorfeld zugesagt wurde (Blogger Max nennt das „Bühnen-Gate“). Die Konsequenz daraus ist, dass zahlreiche Delegationen ihre Inszenierungen beim Eurovision Song Contest 2022 kurzfristig ändern mussten bzw. müssen.

Ganz konkret geht es darum: Die kinetische Sonne auf der Bühne besteht aus mehreren Bögen. Diese sind auf der einen Seite mit Scheinwerfern bestückt und auf der anderen Seite mit Leuchtdioden, die zusammengenommen dann zu einem großen LED-Bildschirm werden. In der Theorie sollten nun alle Delegationen entscheiden können, ob bei der jeweiligen Performance die Scheinwerfer-Seite oder die LED-Wand zum Einsatz kommen soll. Außerdem sollte es sogar die Möglichkeit geben, dass sich die Bögen während der Auftritte bewegen.

Bei den technischen Proben in der vergangenen Woche soll sich allerdings herausgestellt haben, dass die verbauten Motoren durch einen Schaden nicht ausreichend Kraft haben, die einzelnen Bögen zwischen den Auftritten rechtzeitig in eine neue Position zu bringen. Außerdem ist stellenweise auch zu hören, dass die Angst bestanden habe, die Motoren durch die ständigen Bewegungen noch weiter in Mitleidenschaft zu ziehen, so dass dann eventuell gar nichts mehr gegangen wäre. Deshalb hat der ausrichtende italienische Sender RAI entschieden, aus der kinetischen Sonne eine einfache Sonne zu machen und die LED-Seite überhaupt nicht zum Einsatz zu bringen. Diese Entscheidung wurde dann wohl am Donnerstag an die Delegationen kommuniziert.

Gegenüber dem dänischen Rundfunkanbieter DR hat die in diesen Tagen sehr wortkarge EBU (kein Vergleich etwa zu den regelmäßigen Corona-Updates im vergangenen Jahr) mittlerweile folgendes Statement abgegeben:

„Während der technischen Tests in Turin hatte das Produktionsteam Probleme damit, wie lange es dauert, die ‚Sonne‘ in der Zeit zwischen den verschiedenen Auftritten auf verschiedene Positionen einzustellen. Zusammen mit dem Gastgebersender RAI wurde daher entschieden, dass die Sonne während aller 40 Songs in der gleichen Position bleiben wird, um einen fairen Wettbewerb für alle teilnehmenden Länder zu gewährleisten.“

Wie „fair“ es nun allerdings ist, dass die Länder, die den LED-Screen verwenden wollten, ihre Inszenierung nun innerhalb weniger Tage komplett ändern mussten, sei dahingestellt. Allerdings hört man, dass wohl die meisten Länder ohnehin die Scheinwerfer genutzt hätten und es außerdem einfacher sei, ein Lichtkonzept zu entwickeln bzw. zu programmieren als in kürzester Zeit einen sinnvollen LED-Content zu kreieren. Im Endeffekt wird nun aber bei allen Auftritten eine mehr oder weniger dunkle Sonne im Hintergrund zu sehen sein, die einen Großteil der LED-Wand im Hintergrund verdeckt.

Eine andere mögliche Lösung macht gerade auf Twitter die Runde: Man könne doch einfach die Startreihenfolge so ändern, dass zuerst alle Länder auftreten, die die eine Seite der Sonne nutzen wollen, und dann alle Länder, bei denen die andere Seite zu sehen sein soll. Schwer vorstellbar, dass die Veranstalter hier so viel Flexibilität zeigen und ihre Entscheidung revidieren.

Zahlreiche Delegationen haben erst mit zeitlicher Verzögerung öffentlich gemacht, dass sie von dem Bühnen-Problem betroffen sind – bekanntgeworden ist die Einschränkung überhaupt erst durch eine Verlautbarung der litauischen Delegation zum Probenstart am vergangenen Samstag. Wir haben bei den Delegationen aus den deutschsprachigen Ländern nachgefragt, wie sie von den kurzfristigen Änderungen betroffen sind.

Ein ausführliches Statement hat uns der Schweizer Head of Delegation Yves Schifferle zukommen lassen:

„Ende letzter Woche hat die EBU, bzw. RAI informiert, dass das zentrale Bühnenelement, die sogenannte Kinetic Sun, auf Grund von technischen Probleme nur eingeschränkt funktionsfähig ist. Unter anderem werden nicht alle LED-Elemente der Sonne zur Verfügung stehen. Diese LED-Elemente waren ein zentraler Bestandteil unseres Stagings. Unser Creativ Team rund um Sacha Jean-Baptiste musste kurzfristig das Staging anpassen. Wir sind aber überzeugt, dass auch das überarbeitete Staging unseren Vorstellungen entsprechen wird und dem Song und Marius gerecht werden wird. Ein grosses Dankeschön an dieser Stelle an unser Content-Team und die Kolleginnen und Kollegen von RAI für ihren Einsatz!“

Zu diesem Thema hat sich Yves Schifferle heute Morgen auch in der Radiosendung „Morgengast“ in SRF 1 geäußert:

„Da hat kurz das Herz aufgehört zu schlagen. Wir hatten natürlich den ganzen Auftritt, die ganze Performance schon minutiös geplant gehabt mit dem zentralen Bühnenelement. D.h. es hat bei uns jetzt Nachtschichten gegeben.“

Die deutsche und die österreichische Delegation sind dagegen weniger von den Auswirkungen betroffen. Vom ORF heißt es:

„Bei unserer Inszenierung musste nichts geändert werden und wir waren von den Problemen auch nicht betroffen. Es läuft alles wie geplant!“

Die deutsche Delegation wird erst morgen nach Turin reisen, Malik Harris stand noch nicht auf der Probenbühne und deshalb kann der NDR die Lage aus der Ferne noch nicht konkret einschätzen – zeigt sich aber optimistisch:

„Wir sind aber zuversichtlich, dass die deutsche Inszenierung ohne Probleme umgesetzt werden kann.“

Es kann übrigens gut sein, dass wir die kinetische Sonne beim ESC doch noch im Einsatz erleben. Die Veranstalter planen laut italienischen Medienberichten, sie bei einem oder mehreren Pausen- bzw. Eröffnungsacts zum Einsatz zu bringen. Spätestens nächste Woche wissen wir dann mehr.


Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

94 Comments
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Tamara
Mitglied
Tamara
1 Jahr zuvor

War gerade auf dem offiziellen ESC-Twitteraccount. Hoijoijoi, die Kommentare unter dem Bild der rumänischen Probe sind echt knackig. „Hoi Pebe“ ist jetzt schon ein Meme.

Mir fallen da ja eher Songtitel ein:
„Ain’t no sunshine“
„Don’t let the sun go down on me“
„The sun ain’t gonna shine any more“
„Black hole sun“
„Here comes the sun“
„Seasons in the sun“
„The dark of the sun“
„Total eclipse of the sun“ (ach nee, das ging anders, hätte aber ESC-Bezug!)

Wer bietet mehr?

dpw
dpw
1 Jahr zuvor
trackback

[…] Dazu gab es dann ein Statement der EBU und RAI, könnt ihr bei ESC Kompakt nochmal im Detail nachlesen. […]

Mustafa
1 Jahr zuvor

Bin schon sehr auf Liverpool gespannt;)

Mustafa