ESC-Songcheck kompakt 2022 (9) – Ukraine: „Stefania“ von Kalush Orchestra

Nach dem hervorragenden 5. Platz für „Shum“ von Go_A beim ESC im vergangenen Jahr, waren die Erwartungen an die ukrainische Vorentscheidung Vidbir groß. Und der Sender Suspilne lieferte: Sowohl die vorab veröffentlichte Liste von 27 potenziellen Vorentscheidungsteilnehmern als auch das intern ausgewählte letztendliche Final-Line-Up aus acht Acts wussten zu überzeugen.

Im turbulenten Vidbir-2022-Finale konnte sich schließlich zunächst Alina Pash mit „Tini zabutykh predkiv“ durchsetzen, musste sich aber vier Tage später wegen Unklarheiten im Hinblick auf ihre Reiseunterlagen für die Krim zurückziehen. So kam das zweitplatzierte Kalush Orchestra schließlich doch noch zum Zug und konnte sich seither in den Wettquoten sogar noch deutlich besser platzieren als Alina Pash: Die Ukraine steht aktuell klar auf dem ersten Platz.

Kalush ist eine Gruppe, die 2019 von dem Rapper Oleh Psiuk gegründet und nach seiner Geburtsstadt Kalush benannt wurde. Sie besteht neben Oleh aus den Mitgliedern Ihor Didenchuk sowie MC Kilimmen. Ihor ist auch Mitglied der Elektro-Folk-Band Go_A, die die Ukraine im letzten Jahr in Rotterdam vertreten hat. Im Jahr 2019 veröffentlichte die Band ihren ersten Titel auf YouTube. Zwei Jahre später, im Februar 2021 erschien das erste Album, im Sommer desselben Jahres folgte bereits das zweite.

In Turin wird die Band in erweiterter Besetzung als Kalush Orchestra auftreten. Dazu zählen normalerweise zusätzlich die Mitglieder Tymofii Muzychuk und Vitalii Duzhyk; beim ESC wird die Gruppe sogar wie in der Vorentscheidung Vidbir zu sechst auf der Bühne stehen. Und dem Krieg in ihrem Heimatland zum Trotz: Nach aktuellem Stand wird die ukrainische Delegation wie geplant zum Eurovision Song Contest nach Italien reisen.

Der Song

„Stefania“ ist ein Cross-Over-Titel, der sich sowohl typischer folkloristischer als auch Rap-Elemente bedient. Dabei kommt es zu deutlichen Brüchen zwischen dem sehr dynamischen Rap-Teil und dem etwas ruhigeren, aber dennoch rhythmischen Ethno-Teil und den uns schon aus dem vergangenen Jahr bekannten Flöten-Soli auf der Sopilka. Komponierst wurde „Stefania“ von Ihor Didenchuk, Tymofii Muzychuk und Vitalii Duzhyk; für den Text zeichnen Ivan Klymenko und Oleh Psiuk verantwortlich.

Auch visuell wird dem Cross-Over Rechnung getragen und es sind folkloristische Instrumente zu sehen. Gleichzeitig wird im Hip-Hop-Stil getanzt. Während des Auftritts bei der Vorentscheidung war mehrfach Olehs Mutter Stefania im Bild zu sehen, um die es in dem Lied geht und der das Lied gewidmet ist.

Der Check

Song: 5/5 Punkten

Stimme: 5/5 Punkten

Darbietung: 4/5 Punkten

Instant Appeal: 5/5 Punkten

Benny: Ein Hammer-Song. Wirklich stark wie hier folkloristische Klänge mit modernem Hip-Hop kombiniert werden. Und dann noch diese Go_A-Flöte aka Sopilka. Zusätzlich noch ein toller Refrain. Zurecht weit vorne in den Wetten und hoffentlich kann die Ukraine auch wirklich im Mai antreten. 12 Punkte.

Berenike: Einer meiner Favoriten in diesem Jahr. Aus irgendwelchen Gründen scheine ich ukrainischen Rap zu mögen, ich fand auch Greenjolly (ESC 2005) total genial. In Kombination mit dem sehr melodischen und sehnsuchtsvoll klingenden Refrain und den geschickt eingebundenen folkloristischen Instrumenten entsteht etwas ganz wunderbar Eigenständiges. Ich hatte lange Zeit befürchtet, dass wir Kalush Orchestra am Ende nicht in Turin sehen werden, weil die gerade ganz andere Sorgen als einen der Unterhaltung dienenden Musikwettbewerb haben. Jetzt deutet sich aber doch an, dass wir sie per voraufgenommenen Video erleben werden und weiß ich gar nicht, ob ich mir eine (sehr) gute Platzierung wünsche oder nicht. Musikalisch auf jeden Fall, aber gleichzeitig wird es dann immer nur heißen, dass das nur politische Sympathiepunkte waren. Was sicher nicht unberechtigt ist, leider werden wahrscheinlich zu viele Menschen vergessen, dass es beim ESC um Musik geht und Sympathiebekundungen woanders ihren Platz haben. Und das hat dieser tolle, mutige und innovative Song nicht verdient. 12 Punkte.

Douze Points: Die Ukrainer haben’s einfach drauf. So kann man glaubwürdig die Brücke von Folkmusik zum heutigen Rap schlagen und gleichzeitig die Leute unterhalten. Das würde auch ohne die äußeren Umstände auf der linken Tabellenhälfte im Finale landen. Auch wenn ich das anerkenne, heißt das nicht, dass mir persönlich das besonders zusagt. 5 Punkte.

Flo: Die Ukraine ist für mich eines der Highlights in diesem Jahr – und das sage ich bewusst aufgrund der musikalischen Qualität von „Stefania“, denn darum geht es beim ESC und danach bewerte ich auch die Beiträge. Die Kombination aus Rap und traditioneller Instrumentation ist einfach unheimlich gut gelungen. Sie knüpfen damit irgendwo da an, wo Go_A im letzten Jahr aufgehört haben, und bringen gleichzeitig einen Song mit, der völlig anders klingt. Das ist einfach unheimlich spannend und ich bin mir sicher, dass der Song nicht nur in den osteuropäischen Ländern Anklang finden wird – bei mir haben Kalush das jedenfalls schon erreicht. 10 Punkte.

Manu: Auch wenn der Juror Yaroslav Lodigin im ukrainischen Vorentscheid das Kalush Orchestra als „Menschen aus Wäldern und Bergen“ bezeichnete und mit nur 3 Punkten abstrafte – mein musikalisches Herz schlug von Anfang an für den folklorischen Hip-Hop-Ohrwurm „Stefania“. Dass der ukrainische Beitrag derzeit als Gewinner des Contests gehandelt wird, ist sicher dem Krieg in der Ukraine geschuldet – ein weiteres Top 5-Ergebnis wäre aber meiner Meinung nach auch ohne die schlimmen Umstände fast sicher. Von mir gibt’s dafür gute 10 Punkte.

Max: Auch dieser Beitrag ist in meiner Gunst gestiegen in den vergangenen Wochen – und das hat nicht wirklich etwas mit dem Krieg im Land zu tun. Der Refrain geht in den Kopf und die Flöten-Einlagen, hach, das trifft auch voll meinen Geschmack. Zudem sind gute Deep-Bass-Elemente hinterlegt. Bei „Stefania“ stört mich auch der Rap nicht wirklich, weil die Hintergrundmusik eben so eingängig und gut produziert ist. Ob die Ukraine damit gewinnt, ist für mich trotz des guten Songs und der großen Solidarität noch nicht gegeben. Man sollte sich jedoch darauf einstellen, dass die Ukraine nicht schlechter als Platz fünf belegen wird – und für mich zurecht. 10 Punkte!

Peter: Es ist aus nachvollziehbaren Gründen anspruchsvoll und schwer, sich beim diesjährigen ESC-Titel aus der Ukraine allein auf den Song zu konzentrieren. Ein Drittel der Besetzung vom Kalush Orchestra (Ihor Didenchuk) kennen wir von Go_A, die 2021 mit einem genialen Signature-Song ESC-Geschichte geschrieben haben. Dies positiv vorausgeschickt sind die Stärken von „Stefania“ der brillante und wahrhaftige Crossover-Mix aus Rap und Folklore, der durchgängige Vortrag in Landesprache, die Ethno-Instrumentation sowie vor allem die textliche Verbeugung vor der Mutter (Stefania) als emotionaler und weiser Anker in einer komplexen Welt. 12 Punkte.

Rick: Ich gehöre zu den Personen, die sehr froh waren über die Nachnominierung der Band. „Stefania“ überzeugt durch eine moderne Produktion, authentischen Rap und eine kreative Unterbringung verschiedener Elemente. Ich liebe es, komplett unabhängig von „politischen Sympathien“ zur Ukraine – 12 Punkte.

Gesamtpunktzahl: 83/96 Punkten.

Beim ESC-kompakt-Index landet „Stefania“ auf Platz 5 von 40.

Wie schneidet der ukrainische Beitrag "Stefania" von Kalush Orchestra ab?

  • Top 5 (81%, 562 Votes)
  • Platz 6-10 (12%, 84 Votes)
  • Platz 11-15 (3%, 19 Votes)
  • Bleibt im Halbfinale hängen (3%, 18 Votes)
  • Platz 16-20 (2%, 12 Votes)
  • Platz 21-25 (0%, 3 Votes)

Total Voters: 698

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Bisher erschienene Songchecks:

(1) Albanien: „Sekret“ von Ronela Hajati
(2) Bulgarien: „Intention“ von Intelligent Music Project
(3) Lettland: „Eat Your Salad“ von Citi Zēni
(4) Litauen: „Sentimentai“ von Monika Liu
(5) Moldau: „Trenuleţul“ von Zdob şi Zdub & Fraţii Advahov
(6) Niederlande: „De Diepte“ von S10
(7) Schweiz: „Boys Do Cry“ von Marius Bear
(8) Slowenien: „Disko“ von LPS


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105 Comments
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Schlippschlapp71 (Ex-Mariposa)
Schlippschlapp71 (Ex-Mariposa)
2 Jahre zuvor

Danke, Thomas !

trevoristos
Mitglied
trevoristos
2 Jahre zuvor

Ist auf jeden Fall ein Song, der in größeren Teilen recht zeitgemäß ist und wohl für ein eher jüngeres Publikum konzipiert ist. Es wird aber viele geben, die mit Rap eben so rein gar nichts anfangen können. Folklore zwar ja, aber Rap nein. Frag mal nen/ne ab 50jährige/n, wieviele Rapacts die auf Anhieb benennen könnten…
Für mich persönlich eignet sich der Kalush Song nicht zum wiederholten Anhören, da ich die Folklore Elemente allgemein nicht mag und die sind ja bei Stefania trotz des Raps doch recht prominent platziert..

Thomas M. (mit Punkt)
Thomas M. (mit Punkt)
2 Jahre zuvor
Reply to  trevoristos

Man muss keine Rapacts benennen können, um sich mit Rap-Passagen in einem Titel anfreunden zu können. Die jetzt Fünfzigjährigen waren zur Eurodance-Zeit um die 20, und bestimmt haben einige davon wie ich begeistert zu Snap, Culture Beat etc. getanzt, überall kamen Rap-Passagen vor. Okay, „Stefania“ ist nun wirklich nicht mit „Rhythm is a dancer“ vergleichbar (außer, dass in beiden Rap zusammen mit etwas anderem vorkommt) :-), aber auch nicht mit dem ganzen seltsamen Deutschrap-Zeug.

Christliches
Christliches
2 Jahre zuvor

Was für Vorstellungen hast du über ab 50ig Jährige? Die scheinen mir etwas weltfremd.

trevoristos
Mitglied
trevoristos
2 Jahre zuvor
Reply to  Christliches

welche Du denn? Könnte z.b. sein, dass vielleicht Deine weltfremd sind…:-)
Fakt ist, dass über 50jährige in der übergroßen Mehrzahl (hier postende 50+ natürlich sämtlichst ausgeschlossen) kein Deutschrap hören und kaum einen bis keinen aktuellen Deutschrap-Act benennen können. Je näher an 60 desto weniger.

Marko
Marko
2 Jahre zuvor

Song, Stimme, Darbietung: Genau so berührend wie https://www.facebook.com/spasimonerodjene/videos/1003949573874901 und ein gelungenes Cross-Over.

Instant Appeal: Klar. Starke Emotionen.

Finale: ja.
Gewinner: vielleicht.

ESCFan2009
ESCFan2009
2 Jahre zuvor

Ukraine:
– erreicht mich einfach musikalisch nicht
– 1 von 10 Punkten
– Platz 38 von 40

hat aber Chancen, sehr weit zu kommen (und das bei aller Solidarität und trotz aller Diskussionen der letzten Wochen tatsächlich musikalisch)

Ben70
Ben70
2 Jahre zuvor

Ist es eigentlich schon ausgemachte Sache, dass die Ukrainer ausschließlich aus Solidarität gewinnt? Musikalisch kann ich dem überhaupt nicht abgewinnen, genauso wie dem letztjährigen ukrainischen Beitrag : Ethnorapgedöns – ich glaube ich muss mein ESC-Abo nach 45 Jahren kündigen – ich kann mit 80% der Musik einfach nichts mehr anfangen.

Schlippschlapp71 (Ex-Mariposa)
Schlippschlapp71 (Ex-Mariposa)
2 Jahre zuvor
Reply to  Ben70

Das ging mir vor ein paar Jahren genauso, da war mein Interesse bei Null. Seit 2017 finde ich es wieder interessant vor allem wegen solcher Beiträge wie diesen.

Frank D.
Frank D.
2 Jahre zuvor

Das sticht im lahmen 1. Semi wirklich heraus und wird das wohl gewinnen. Und das sind nicht nur Mitleids- und Solidaritätspunkte. Die Ukraine spielt ganz oben mit und rettet Europa in ihrer angstfüßigen Mainstream-Suppe.

hundylein
hundylein
1 Jahr zuvor

Was singen , diese Leute ? Man sollte ehrlich sein , mit der Bewertung ! Für mich ist das einfach nur BLÖDSINN !