Höhen und Tiefen: Mein erster ESC mit Online-Akkreditierung (Torniamo a Torino 7)

Das dritte Ausnahmejahr beim ESC brachte mir eine weitere Premiere: Ich war trotz einer Presse-Akkreditierung zum ersten Mal nur online beim ESC dabei. Wir hatten zwar schon im letzten Jahr mit dem Online-Pressezentrum Erfahrungen sammeln können (und müssen). Damals war ich aber mit Benny vor Ort und konnte in Rotterdam etwas ESC- und Promi-Atmosphäre spüren. In diesem Jahr blieben mir nur der Schreibtisch in Hamburg, die virtuelle Verbindung nach Turin und die Show-Abende mit Peter.

Denn es kam einiges zusammen: weitere Corona-Wellen, italienische Organisation und (zu) geltungsbewusste EBU-Kommunikationsverantwortliche. Dazu absurde Übernachtungspreise in Turin und zehn Pseudo-EuroClubs ohne richtige ESC-Party (der richtige EuroClubvon den Fans kam erst später). Außerdem hatte die EBU Gefallen an der reduzierten Anzahl von Vor-Ort-Journalisten durch den Einsatz eines Online-Pressezentrums gefunden – und ich hatte zum ersten Mal nur die Online-Akkreditierung. Da ich in der ersten Probenwoche auch noch ein großes dreitätiges Event für meinen „normalen“ Job hatte, sagte ich schweren Herzens Turin ab.

Und schwups hätte ich am ersten Probentag meinen Online-Einsatz fast verpasst. Denn es macht einfach einen Unterschied, ob man entspannt im eigenen Bett aufwacht oder vom Blog-Chef Benny rechtzeitig ins Pressezentrum kommandiert wird. Sobald ich am Rechner saß, war alles klar und ich hatte mich schnell in die Oberfläche der Online-Pressezentrums eingefuchst. Sie unterschied sich auch kaum von der des Vorjahres und war recht gut zu bedienen.

Letztlich bekam man – zumindest von der ersten Probe – zu Hause genauso wenig mit wie vor Ort in Turin. Denn die ersten Proben waren für die Journalist/innen gesperrt, das Pressezentrum geschlossen und es gab nur einen minimalistischen Live-Blog der EBU. Irgendwann später folgten Probenfotos und ein wenig aussagekräftiges TikTok-Video. Danach musste man warten, bis die Übertragung der Pressekonferenz begann. Die dortigen Fragen, die online eingereicht werden konnten, waren 1.000% austauschbar mit denen der letzten Jahre.

Ergo: Als Blogger verpasste man in den ersten Tagen wenig mit ESC-Bezug, wenn man nicht vor Ort war. Das änderte sich dann natürlich mit den offenen zweiten Proben und auch den Proben der Big5, darunter auch von Malik für Deutschland. An dieser Stelle hätte bei mir die FOMO einsetzen müssen, die Fear of missing out. Aber ich war durch mein Job-Event so absorbiert, dass ich gar nicht richtig an den ESC denken konnte.

Umso mehr tat es mir dann weh, als sich Benny und Berenike am Sonntag nach der ersten Probenwoche vom Türkisen Teppich in Turin meldeten (Foto oben). Und die Situation wurde in den nächsten Tagen nicht einfacher. Denn in der Nacht von Montag bis Dienstag hätte ich mein einziges (!), anderthalbstündiges (!) DJ-Set im EuroFansClub nachts von 2:30 bis 4:00 Uhr (!) gehabt. Und prompt erreichten mich während der Nacht Fotos von Freunden, die da waren…

Etwas gelindert wurde das Fernweh dann am Dienstag, dem Abend des ersten Halbfinales. Da gab es ESC-Feeling nicht nur über das Online-Pressezentrum. Denn Peter und ich schauten die Show gemeinsam und er bloggte live. Das Spiel wiederholten wir bei den beiden anderen Sendungen aus Turin, wobei ich dann der hauptsächliche Live-Blogger war.

Am Mittwochmittag war es dann Zeit für eins meiner Highlights der zweite ESC-Woche: Die erste Durchlaufprobe einer Show. Ich hatte den Live-Blog dafür vom zweiten Halbfinale bekommen. Besonders gern erlebe ich diese Durchlaufproben in der Halle. Da kommen die Bausteine aus den Proben zusammen. Man erlebt die Moderationen, sieht wo es hakt und welche Überraschungen geplant sind. Das ging erstaunlich gut auch online. Natürlich wäre es noch schöner gewesen, die Italiener hätten sich bei der Durchlaufprobe an den Zeitplan gehalten. Aber was soll’s.

Ab Mittwoch hatte ich nun jeden Tag einen langen Live-Blog – fast so als wäre ich vor Ort. Und entsprechend schnell vergingen dann die Tage auch bis zum Finale. Natürlich fehlte mir der EuroClub und das Treffen von ESC-Freunden in Turin. Und es fehlte mir auch der direkte Kontakt zu den Künstler/innen. Interviews mit ihnen, ihre Reaktionen spüren – das ist live im Pressezentrum dann noch etwas anderes.

Wäre ich in der zweiten ESC-Woche in Turin gewesen, wäre ich wohl auch (wieder) am Samstag so abgereist, dass ich die Show abends hätte in Hamburg sehen können. Denn die Arbeit im Pressezentrum ist nach dem Finale immer schwierig. Natürlich kann man da noch mal einen O-Ton vom deutschen Act einfangen oder eine Frage bei der Siegerpressekonferenz stellen. Aber es gibt so viel anderes, über das wir in der Nacht berichten, so dass es gar nicht schadet, das in Ruhe vom Schreibtisch von zu Hause aus zu machen.

2023 – das steht jetzt schon fest – wird ein weiteres ESC-Ausnahmejahr. Mit ein bisschen Glück sind die Umstände so, dass ich ohne andere (berufliche) Verpflichtungen in die Austragungsstadt reisen kann. Ob ich dann wieder ein Akkreditierung bekomme und wenn ja, was für eine, das steht in den Sternen. Ich will aber gern wieder die Atmosphäre in der ESC-Stadt spüren, mit den Blogger-Kolleg/innen und Künstler/innen vor Ort arbeiten sowie ESC-Freunde treffen. Denn den ESC dauerhaft nur online? Nein, das soll’s nicht sein.

Bisher in der Serie „Torniamo a Torino“ erschienen:


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9 Comments
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Timo1986
Timo1986
1 Jahr zuvor

Das Internet und die soziale Medien haben in der Freizeit eigentlich nur Vorteile, wenn man in der Lage ist mit ihnen korrekt umzugehen und eine ausreichende kritische Distanz zu ihnen besitzt.

Aber im Berufsleben stellen sich das Internet und die soziale Medien für das operative Tagesgeschäft nicht nur, aber eben auch als nachteilig heraus. Das fängt schon mit der Benutzung von Wikipedia an, das fälschlicherweise von so vielen als seriöse Informationsquelle betrachtet und benutzt wird, und hört mit der Zugangsbeschränkung zu den Beteiligten (m/w/d) eines Events noch lange nicht auf. Dadurch werden die gewonnenen Erkenntnisse und Informationen nicht unbedingt zwangsläufig falsch, aber sie sind eben sehr viel oberflächlicher und die Liebe zum Detail geht verloren.

Ich gehöre mit meinem Jahrgang 1975 definitiv nicht zu denen, die der Ansicht sind, dass früher alles besser war. Aber trotz der Möglichkeit im Beruf die Hilfe des Internets und der sozialen Medien in Anspruch nehmen zu können, was die Arbeit bei vielen beruflichen Aufgaben definitiv erleichtert, wird zumindest mir mit dem Lesen des Beitrages von Douze Points bewusst, wir mir als Leser bzw. Nachrichtenverfolger und scheinbar auch dem ein oder anderen Journalist (m/w/d) in seiner beruflichen Tätigkeit die klassische journalistische Recherche und Berichterstattung fehlt und sie vermisst.

Die Zeiten im Stile eines Baby Schimmerlos aus dem Helmuth-Dietl-Film „Kir Royal“, wie Franz Xaver Kroetz und Senta Berger in ihren Filmrollen der Schickeria in München-Schwabing regelrecht hinterherlaufen konnten und die Wahrscheinlichkeit sehr hoch war den Promi (m/w/d) oder Trash-Promi (m/w/d) in ein persönliches Gespräch verwickeln zu können sind spätestens seit TikTok, Instagram und Co. definitiv vorbei. Obwohl das Internet das Berufsleben sehr viel einfacher macht, ein klein bisschen schade ist diese Entwicklung trotzdem.

PS: Das Beispiel mit „Kir Royal“ war selbstverständlich im übertragenem Sinne gemeint. 🙂

togravus ceterum
Mitglied
togravus ceterum
1 Jahr zuvor
Reply to  Timo1986

Vor einigen Jahren hat man mir bei einem beruflichen Projekt einen BA BWL-Absolventen als Unterstützung zur Seite gestellt. Nach ein paar Tagen bat ich ihn, einen Sachverhalt für mich zu recherchieren. 5 Minuten später bekam ich eine E-Mail, die lediglich einen Wikipedia-Link enthielt … Ich habe tief durchgeatmet und den jungen Mann zu einem 4 Augen-Gespräch gebeten …

Timo1986
Timo1986
1 Jahr zuvor

ceterum:

Exakt meine Erfahrungen. Die Ansicht, dass Wikipedia eine seriöse wissenschaftliche Informationsquelle ist, haben übrigens nicht nur Absolventen eines Studiums mit integrierter Berufsausbildung bei der BA, sondern auch Absolventen einer Universität.

Ich sage es gerne nochmal. In der Freizeit sind soziale Medien und Wikipedia toll. Aber im Berufsleben oder im journalistischen Bereich, wo es auch immer der Anspruch sein sollte qualitative Informationen an den Leser/ Zuhörer (m/w/d) weiterzugeben, ist diese Entwicklung für mich eine Katastrophe.

Gaby
Gaby
1 Jahr zuvor

Asche über mein Haupt, aber ich nutze eigentlich ganz gern ab und zu Wikipedia. Okay für den Privatbereich. Es sind ja auch ganz unten immer Quellenangaben verzeichnet. Und wenn nicht: Steht vor den betreffenden Abschnitten ein Vermerk. Also werden die Artikel doch offensichtlich schon (wenn auch stichpunktartig) kontrolliert.

togravus ceterum
Mitglied
togravus ceterum
1 Jahr zuvor
Reply to  Gaby

Da brauchst Du gar keine Asche auf Dein Haupt zu werfen, Gaby. 🙂 Privat nutze ich ab und zu auch Wikipedia,

Gaby
Gaby
1 Jahr zuvor

Vielen Dank für diesen Artikel, kann ich total nachvollziehen. Gut, dass es das Internet mit der modernen Form der Kommunikation gibt. Gerade in der Hochphase der Corona-Pandemie hat es sich als sehr wertvoll erwiesen.
Aber nichts, absolut nichts kann persönliche Begegnungen und Kontakte ersetzen. Erst recht, wenn man gewohnt ist, jedes Jahr den ESC live zu erleben ist man schon wehmütig, ihn „nur“ online erleben zu dürfen.

Rusty
Mitglied
Rusty
1 Jahr zuvor

Vielen lieben Dank Douze points, das war ein sehr intensiver Rückblick. Zumindest hattest du Peter an deiner Seite und ihr ward ein gutes Team.Trotzdem wünsche ich dir nächstes Jahr wieder einen ESC live vor Ort🙂

JoBi
JoBi
1 Jahr zuvor

Es war schön zu Lesen, Douze Points, wie deine ESC Wochen verliefen. Auch ich habe zumindest in der Proben – Woche auch gearbeitet, auch Nachmittags. In der großen ESC Woche, habe ich mir Urlaub genommen. Also als Entspannung. Es hat sich herausgestellt das die Urlaubswoche sich nicht nur um den ESC drehten. Am Montag konnte ich mal entspannt nach Heidelberg fahren und mir einen neuen Anzug kaufen. Am Dienstag ging ich mit meiner Mutter zum Mannheimer Maimarkt. Was für mich eine Prämiere war. Nächstes Jahr gerne wieder.

Ich gebe zu, ich mag Wikipedia und schaue und lese öfters daraus. Aber natürlich benutze ich auch andere Artikel, Websiten um für etwas zu recherchieren.

Entschuldigung die privvate Frage Douze Points, hast du mit Peter bei ihm oder bei dir die Live Shows geguckt?

Jorge
Jorge
1 Jahr zuvor

Vor Corona gab es zum ESC doch immer die Bloggerrunde im Gastgeberland-Lokal mit Restauranttipp. Aber auf dem nicht instagramkompatiblen Foto lassen sich wenigstens Prosciutto, (eingelegte) Tomaten, Oliven und Frizzante erahnen, ich tippe noch spekulativ auf dreierlei (Pesto)Dip. 🙂