Gefühle bis zum Anschlag. Das kann nur der ESC. Den Erfolg von Lena Meyer-Landrut vor fast zehn Jahren in Oslo bezeichnete der NDR-Intendant Lutz Marmor, der diese Aufgabe im Januar 2020 abschließt, als den „emotionalsten Moment“ seiner zwölfjährigen Intendanten-Laufbahn. Die zwei fulminanten Lena-Jahre einschließlich des Heim-ESC in Düsseldorf sind aber nicht die einzigen ESC-Ereignisse, die seine Zeit als Intendant geprägt haben.

Wir schreiben das Jahr 2010. Am 29. Mai 2010 gewinnt Lena den ESC mit 246 Punkten vor der Türkei und Rumänien. Ihr „Satellite“-Erfolg wurde von den ESC kompakt Leserinnen und Lesern jüngst zur schönsten ESC-Erinnerung ever ever ever gewählt. Und auch für den scheidenden NDR-Intendanten Lutz Marmor war es DAS emotionale Highlight seiner Karriere.

„Das war ein tolles Erlebnis und eine tolle Stimmung in Deutschland. Wann fährt ein Intendant schon mal an Menschenmengen vorbei – mit deutschen Fans?“, verrät Lutz Marmor im dpa-Interview, in dem er seine Zeit als NDR-Intendant bilanziert. Er war in dem Autokorso dabei, mit dem Lovely Lena am Sonntag nach ihrem ESC-Erfolg nach ihrer Ankunft aus Oslo vom Hannoveraner Flughafen zum Rathaus gefahren ist. Auf dem Rollfeld war sie sogar vom damaligen Ministerpräsidenten Niedersachsens, Christian Wulff, empfangen worden.

Die Erinnerung ist das Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann. Und der ESC ist ein Feuerwerk guter Erinnerungen, das hat nicht zuletzt der von Manu liebevoll kuratierte Adventskalender 2019 mit 24 „Love Love Peace Peace“-ESC-Höhepunkten aus sechs Jahrzehnten bewiesen.

Der ESC ist ein nie versiegender Fundus von „Weißt Du noch…?“ Geschichten. Was im übrigen in beide Richtungen gilt, positive wie negative. Denn mitten in Lutz Marmors zwölfjährige Amtszeit fielen nicht nur zwei zauberhafte Lena-Jahre sondern – soviel gebietet die Chronistenpflicht – auch einer der peinlichsten und sicher der am stärksten polarisierende Moment überhaupt in der deutschen ESC-Geschichte. Am 21. November 2015, einem Samstag, hat Marmor dem massiven, komplett „blown out of proportion“ explodierten Shitstorm, den die Nominierung von Xavier Naidoo für den ESC 2016 ausgelöst hat, nicht mehr widerstanden und die Nominierung von Naidoo zurückgezogen. Ein interner, an die BILD-Zeitung durchgereichter Brandbrief von über 40 NDR Redakteurinnen und Redakteuren, darunter viele Alphatiere, soll damals der letzte Auslöser gewesen sein.

ARD-Unterhaltungschef Thomas Schreiber (Foto) war zuvor der Coup gelungen, Xavier Naidoo davon zu überzeugen, Deutschland beim ESC 2016 in Stockholm zu vertreten; er hat am Ende aber die Rücknahme der Entscheidung mitgetragen (auch mittragen müssen). Viele prominente Künstler hatten sich davor und danach für Naidoo und seinen geplanten ESC-Gig stark gemacht, darunter Herbert Grönemeyer, Jan Delay, Andreas Bourani, Andreas Gabalier (inzwischen selbst shitstorm-erfahren), Michael Mittermeier, Tim Bendzko, Tim Mälzer und auch viele ARD (Tatort) Stars wie Til Schweiger und Jan Josef Liefers.

Mitte Januar 2020 übergibt Lutz Marmor die Intendanz an seinen Nachfolger Joachim Knuth, der seit 1985 beim NDR tätig ist (seit dem Jahr, als Hanne Hallers „Für alle“ sich beim VE gegen Ralph Siegels „Glocken von Rom“ durchsetzte), zuletzt als Programmdirektor Hörfunk. Herr Knuth (ohne Korrelation zum besten Hamburger Frühstücksladen) ist als Vorsitzender des Beirats des Deutschen Radiopreises im gewissen Sinne also auch schon event-erfahren. Er verantwortet in letzter Instanz jetzt mindestens sechs ESC-Jahre, denn solange dauert seine (erste) Amtszeit.

Derweil ist Lutz Marmor mit seiner Leidenschaft für Lena nicht allein. Die BamS (Bild am Sonntag) hat den Lena Erfolg in Oslo in ihrer Rückblick-Ausgabe zum Jahres- und Jahrzehnt-Ende soeben zum „TV-Ereignis des Jahrzehnt“ gekürt, noch vor dem Dschungelcamp und GOT.

Eine Ikone des Jahrzehnts, still going strong: Lovely Lena (das sensationelle facebook Coachella Photo kommt vom großartigen Paul Ripke)