Tel Aviv Calling (3): Pressegespräch mit Kobi Marimi

Kobi Marimi und Benny Tel Aviv Israel ESC 2019 eurovision Home

Gleich am ersten Tag unserer Pressereise treffen wir den diesjährigen israelischen ESC-Teilnehmer Kobi Marimi. Kobi ist ein sehr ruhiger, aber auch sehr lustiger Typ, der sich bereitwillig all unseren Fragen stellt. Und er ist sehr emotional. Während des Pressegesprächs kommen ihm mehrmals die Tränen, vor allem wenn er über seine Vergangenheit spricht. Anmerkungen: Die Fragen wurden nicht nur von ESC kompakt gestellt, sondern von allen anwesenden Journalisten.

Kobi Marimi: Mein Manager hat mir erzählt, wir würden zu einer kleinen Cocktail-Party mit ein bisschen Small-Talk gehen. Er hat mir erst auf der Fahrt verraten, dass ich auch etwas sagen soll. Und dann auch noch auf Englisch – toll! (lacht) Also, ich bin Kobi Marimi und repräsentiere mein Land Israel bei diesem Eurovision Song Contest hier in Tel Aviv – zu Hause. Mein Song heißt auch „Home“. Ich bin sehr aufgeregt und nervös – aber auf eine positive Art. Ich weiß gar nicht, was ich noch sagen soll, wollt ihr vielleicht etwas fragen?

Erzähle uns doch etwas über Deinen Song „Home“.

Ich habe an der Castingshow „The Rising Star“ teilgenommen und habe gewonnen. Und der Preis ist, dass ich Israel beim Eurovision Song Contest vertreten darf. Während der Show hat das Publikum mich und meinen Lebensweg besser kennengelernt. Dann wurde ich ausgewählt und gefragt: „Jemand schreibt jetzt für Dich einen Song. Worüber soll er denn schreiben?“ Ich habe nur gesagt, dass der Song aus dem Herzen kommen soll, weil ich mich ihm dann verbunden fühlen werde.

Als ich den Song das erste Mal gehört habe, hatte ich Gänsehaut am ganzen Körper und war einfach sprachlos. Der Song handelt einfach von meinem Lebensweg. Als übergewichtiges Kind habe ich 50 Kilo abgenommen. Ich wurde viel gemobbt und habe mich manchmal verloren gefühlt. Oh, jetzt werde ich emotional…

Ich widme den Song also allen Menschen – egal welche Hautfarbe sie haben, welche Sexualität, woher sie kommen. Wenn Du Dich irgendwann unsicher oder verloren gefühlt hast, sollst Du wissen, dass Du jemand bist und es verdient hast, Dich in Deiner Haut wohlzufühlen.

Small (246)

Was bedeutet es Dir, dass du diese Botschaft jetzt nicht nur für Israel, sondern auch in Israel vertreten darfst?

Ich bin ein Eurovision-Fan. Ich habe den Contest jedes Jahr zusammen mit meinen Schwestern geschaut schon seit ich ein kleines Kind war. Ich habe sie ausgelacht, wenn sie bei einem Lied weinen mussten und versucht, nicht selbst zu weinen. Und immer wenn ich den Siegersong dann wieder gehört habe, habe ich mir vorgestellt, dass ich es wäre, der da gewonnen hat.

Ich könnte jetzt nicht einmal sagen, dass es ein Traum von mir war, einmal am ESC teilzunehmen – weil ich einfach nicht daran geglaubt habe, dass das wirklich passieren könnte. Zu wissen, dass ich ein Teil des Contests sein werde, in meiner Stadt, in meinem Zuhause – das ist einfach fantastisch! Es ist eine riesige Ehre und ich bin sehr glücklich, derjenige zu sein, der… (muss eine Pause machen, um sich wieder zu fassen) Ich bin sehr glücklich, der zu sein, der mein Land repräsentiert. Und ich hoffe, dass ich das gut mache. Die Menschen hier sind so nett und ich freue mich, dass wir die Gelegenheit haben, Euch alle hier willkommen zu heißen, und Euch zu zeigen, wie schön dieser Ort ist.

Kobi Marimi im Interview in Tel Aviv Israel ESC 2019 Eurovision

Im Fußball ist ein Heimspiel normalerweise ein Vorteil. Wie ist das beim ESC?

Wir wissen alle, der ESC hat keine Regeln. Niemand weiß, was passieren wird. Ich versuche mich einfach zu konzentrieren und in den Proben hart an mir zu arbeiten. Ich habe die Chance vor 200 Millionen Menschen aufzutreten und meinen schönen und wichtigen Song zu singen. Wenn ich es hinbekomme, damit die Herzen von ein paar anderen Leuten zu berühren, ist das schon ein Sieg. Ich weiß, das klingt wie ein Klischee, aber ich glaube, dass am Ende immer die Musik gewinnt. Es geht nicht nur um ein Land, sondern wir sind alle Gewinner.

Kannst Du schon etwas zu Deiner Bühnenshow sagen?

Nein! (lacht) Wir arbeiten noch daran. Ich kann nur sagen, dass ich auf der Bühne stehen und singen werde. Das war’s. (Die Journalisten lachen) Ich freue mich, dass ich auf Englisch lustig bin. Ich weiß, dass ich auf Hebräisch ein bisschen witzig bin, aber ich dachte, das wäre schwierig auf Englisch. Gut zu wissen!

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Kommst Du aus Tel Aviv?

Ich wurde ungefähr fünf Minuten von Tel Aviv entfernt in Ramat Gan geboren. Jetzt wohne ich aber schon seit vier oder fünf Jahren hier.

Wie hat es Dir denn bei Eurovision in Concert gefallen? Die Fans und Journalisten zu treffen, die anderen Künstler zu treffen und natürlich auf der Bühne zu stehen?

Es war so verrückt, als plötzlich alle mitgesungen haben. Das ist alles neu für mich, weil ich ja gerade erst die Show gewonnen habe. Das war für mich bis jetzt die größte Bühne, ich habe noch nie vor 5.000 Menschen performt. Das Publikum war klasse und hat mich sehr unterstützt. Am Anfang hatte ich ein Problem mit meinem In-Ear-Monitor und musste nach fünf Sekunden abbrechen, weil ich nichts gehört habe. Es war das erste Mal, dass ich „Home“ live gesungen habe und deshalb sollte es perfekt sein. Das Publikum hat sehr unterstützend reagiert.

Es war echt verrückt. Da kamen Leute mit Bildern von mir und ich sollte sie unterschreiben. Und ich wusste nicht mal wie das geht, weil man heute doch eigentlich nur noch ein Selfie macht. Ich habe dann einfach Herzen gemalt.

Es war auch toll, die anderen Künstler kennenzulernen und zu sehen, dass das auch nur Menschen sind. Ich dachte, ich wäre der einzige, der unsicher und nervös und aufgeregt ist. Aber alle machen das Gleiche durch. Und es war toll, dass ich nach Amsterdam reisen konnte, weil ich ja leider für den ESC nicht reisen kann.

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Wann hast Du entschieden, dass Du Sänger werden möchtest?

Ich wollte schon immer singen. Aber nach dem Wehrdienst bin ich für ein Jahr durch Asien gereist. Als ich danach anfangen wollte zu singen, hatte ich Angst davor, dass mir jemand sagen würde, wie ich singen soll. Dass mir jemand Regeln oder Grenzen aufzeigt. Aber wenn ich singe, will ich das so machen, wie ich es will. Deshalb habe ich angefangen Schauspiel zu studieren. Ich habe gedacht, dass würde mir bei meinem Lampenfieber helfen – was es nicht getan hat (lacht).

Und dann wollte ich nochmal studieren und eine Freundin hat zu mir gesagt: „Hör auf zu Studieren! Du hältst Dich immer beschäftigt, anstatt einfach mal die Dinge zu tun, die Du gerade gelernt hast.“ Ich habe mein ganzes Leben versucht, mich zu verstecken. Auf der Bühne muss man aber nach vorne gehen und sich zeigen. Sie hat gesagt, ich soll mich nicht so anstellen, wie ein Single, der 2019 keine Dating Apps benutzt, sondern einfach zu diesem Casting gehen. Und das habe ich dann gemacht.

Netta war eine große Inspiration für mich. Zu sehen, wie sie in Israel und auf der ganzen Welt akzeptiert wird, hat mir sehr viel Kraft gegeben.

Was machst Du, wenn Du jetzt reich und berühmt bist?

Ich bin reich? (zu seinem Manager) Wo ist das ganze Geld? (lacht) Auf jeden Fall will ich reisen und mehr Orte sehen und mehr Kulturen und Religionen kennen lernen. Das habe ich schon vor und während des Studiums gemacht. Ich brauche also nur mein Geld und dann geht es los!

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Hast Du schon ehemalige ESC-Sieger getroffen und haben sie Dir einen Rat gegeben?

Ich habe Netta getroffen und auch Dana. Und Imri und Hovi, auch wenn sie nicht gewonnen haben, waren sie ja beim ESC. Und eigentlich haben mir alle den gleichen Rat gegeben: Genieße es einfach. Das ist eine Erfahrung, die man nur einmal macht. Es ist zwar manchmal schwierig, aber konzentriere Dich einfach darauf, dass zu tun, was Du liebst.

Was bedeutet für Dich der Begriff „Home“?

Ich glaube, es gibt einen Unterschied zwischen „House“ und „Home“. Das eine ist ein Gebäude und das andere ist der Ort, an dem man sich am wohlsten fühlt. Ich habe mich zum Beispiel auf Reisen manchmal mehr daheim gefühlt als in Israel. Hier bin ich aufgewachsen, aber ich wurde gemobbt und habe mich deshalb nicht sicher gefühlt. Aber manchmal habe ich mich hier auch zuhause gefühlt. Aber wie ich es auch in dem Song singe: Früher habe ich darauf gehört, was andere sagen. Aber jetzt mache ich mich groß, weil ich jemand bin. Es liegt an Dir: Du kannst Dich dort zu Hause fühlen, wo Du gerade bist.

War dass dann auch der Grund, warum Du so viel abgenommen hast?

Das ist etwas kompliziert. Ich will nicht, dass die Leute denken, dass ich Gewicht verloren habe, dass ich jetzt dünn bin – was ich nicht bin, aber okay – und so sollte man aussehen uns deshalb fühle ich mich jetzt gut. Als ich jünger war, hätte ich mir jemanden gewünscht, der sagt: „Kobi, Du bist jemand. Du bist schön. Du darfst anders sein. Wer entscheidet überhaupt, was anders ist?“ Aber das hat mir niemand gesagt.

Also habe ich abgenommen, aber habe mich immer noch nicht wohl mit mir gefühlt. Weil es eben nicht darum geht, wie man aussieht, sondern ob man sich selbst akzeptiert. Ich habe also eine Diät gemacht, habe angefangen Sport zu machen, habe es gehasst und ich mag es immer noch nicht, aber mache es immer noch.

Was ich aber sagen will, ist: Jetzt sehe ich vielleicht so aus, wie es von der Gesellschaft akzeptiert wird. Aber ich bin immer noch derselbe, der ich auch als übergewichtiges Kind war. Und ich hoffe, dass mehr und mehr Leute das an die Kinder weitergeben und für sie da sein können. Ich hoffe, dass ich durch meine Kunst in dieser Hinsicht etwas ändern kann.

Small (261)

Offenlegung: Diese Pressereise wurde organisiert und finanziert von der Europe Israel Press Association (EIPA).

Bisher erschienen:

Tel Aviv Calling (1): Anreise, Einreise und erste Eindrücke in Israel
Tel Aviv Calling (2): Die Vorbereitungen für den ESC 2019 in Israel


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10 Comments
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Matty
Matty
5 Jahre zuvor

Ein sehr emotionales Interview! Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, daß Kobi mal übergewichtig gewesen ist! Er kommt sehr sympathisch rüber!

Rainer 1
Rainer 1
5 Jahre zuvor

Symphatisch………

GEF
GEF
5 Jahre zuvor

Gab es nicht bei Netta und auch bei Hovi damals einen ähnlichen Hintergrund (Mobbing, anders sein)?

Schön, dass sich Israel diesbezüglich treu bleibt. Bei Netta war aber die Message wohl klarer. Bei Kobi weiß ja niemand, dass er mal übergewichtig war und gemobbt wurde. Auch ist sein Akzent etwas stark ausgeprägt, so dass man die Message nicht immer so versteht. Das Lied wird m.E. aber unterschätzt. Ich glaube, dass er durch seine etwas schüchterne Art, seinen guten Gesang und seine emotionale Ausstrahlung ein paar Punkte einsammeln kann. Letzter werden sie im Finale vermutlich nicht.

Gaby
Gaby
5 Jahre zuvor

Was für ein sympathischer Mensch und tolles Interview. Bin halt etwas nah am Wasser gebaut und dieses Interview hat mich echt emotional berührt. Musikalisch überzeugt mich sein Song nicht unbedingt, wünsche ihm aber alles Liebe und Gute.

melodifestivalenfan
5 Jahre zuvor

Cooler Typ mit einer aussergewöhnlichen Stimme. Ich mag ihn sehr und freue mich auf seinen Auftritt.

Peter Philipp
Peter Philipp
5 Jahre zuvor

… das war ein bisschen mehr als ein Small Talk. Kobi Marimi berueht mich.

4porcelli - gettin' rowdy rowdy
4porcelli - gettin' rowdy rowdy
5 Jahre zuvor

Ach Gott, mit „das Lied ist sehr persönlich, ich war ein dickes Kind“ ist jetzt hoffentlich der Höhepunkt der verzweifelten Bemühungen, seinem völlig normalen Song Relevanz zu geben, erreicht. Als nächstes kommen Tamta und Luca und sagen, ihre Songs handeln von traumatisierenden gescheiterten Beziehungen im Sandkasten.

floppy
Mitglied
floppy
5 Jahre zuvor

Scheint ja ein sehr bedächtiger, umgänglicher und sympathischer Mensch zu sein. Leider kann ich mit ihm als Sänger immer noch nicht viel anfangen und der Song hilft dabei auch nicht gerade. Aber sollte es mit der Gesangskarriere nicht klappen, wäre er mit diesen Antworten auch auf keiner Mister-World-Wahl fehl am Platz 🙂

Jorge
Jorge
5 Jahre zuvor

Was haben wir gelernt? Für die Credibility der erzählten Hintergrundgeschichte, der Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling mit dem oppositionellen alten und neuen Ich, bedarf es also einer schmalzigen Melodie in Abendgarderobe dargeboten? Zuviel Kompromiss & Konvention, die Antithese zu Netta.

Mariposa
Mariposa
5 Jahre zuvor

Sorry, für mich bleibt „Home“ einfach nur das pure Grauen….