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Kommentar: Darum ist es falsch, dass die internationalen Fanclubs zu OGAE Russia stehen

Bild: Instagram @ogaeukraine

Ein Kommentar von Peter

Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass sich der Fanclub OGAE Ukraine aus dem OGAE Song Contest zurückzieht. Das ist eine Art digitaler Zweit-ESC der in OGAE International gut organisierten europäischen Fanclubs. OGAE Ukraine hatte OGAE International gebeten, auf die Teilnahme von OGAE Russland beim diesjährigen OGAE SC zu verzichten. Als OGAE International dies abgelehnt hat, erfolgte der Rückzug von OGAE Ukraine. Die Gründe sind offensichtlich – Ihr könnt das offizielle, vollständige Statement von OGAE Ukraine hier (auch übersetzt) nachlesen.

Eine „Zweidrittelmehrheit“ der Fanclubs von OGAE International habe sich „für den Verbleib des russischen Clubs im Wettbewerb“ entschieden, lesen wir in einer Info-Mail von EC Germany an seine Mitglieder (am Abend des 12. September 2022). Auf der internationalen OGAE-Seite wird geschwiegen. Mehr internationale Transparenz gegenüber den Mitgliedern wäre wünschenswert. Es ist tröstlich, dass anscheinend wenigstens ein gutes Drittel der OGAE-Fanclubs so etwas wie sensible Empathie entwickelt hat. Wer das war, verliert sich derzeit leider noch in den Nebeln von Norwegen.

In Deutschland ist die Situation noch komplizierter. Es gibt zwei Fanclubs, die in dieser Angelegenheit unterschiedlicher Auffassung sind. OGAE Germany mit Schwerpunkt in München ist für den Ausschluss des russischen Beitrags vom OGAE SC (wenn auch eher zaghaft formuliert); das Präsidium des EC Germany mit Schwerpunkt in Köln ist dagegen. Da der EC Germany die deutsche Teilnahme am OGAE SC koordiniert, bleibt es vorläufig bei einer Teilnahme von Deutschland am OGAE SC. ECG-Präsident Michael Sonneck gehört zu den 63% der OGAE Clubchefs, die im Namen ihres Clubs für den Verbleib von OGAE Russland im Wettbewerb votiert haben (exakte %-Angabe stammt aus der ECG-Mitgliederinfo).

Vorläufig steht im vorletzten Satz deshalb, weil der EC Germany jetzt seine Mitglieder aufgefordert hat, im Mitgliederbereich der Homepage „MeinECG“ bis zum Mittwoch, den 14. September um 18 Uhr darüber abzustimmen, ob Deutschland beim OGAE SC teilnehmen oder sich nach dem Verbleib Russlands im Wettbewerb aus diesem zurückziehen soll. Das beträfe dann den Titel „Here Goes Nothing“ von Michael Schulte, der sich gegen diese spezifische, möglicherweise unerwünschte Verwendung seines Hitsongs nicht wehren kann.

Ich kann mich mit dem Voting des EC Germany-Präsidiums so wenig identifizieren, dass ich diesem meinen sofortigen Clubaustritt mitgeteilt habe. Ich möchte nicht zu denen gehören, für die und in deren Vertretung der Clubvorstand für einen Verbleib des russischen OGAE-SC-Songs im Wettbewerb gestimmt hat. Simple as that.

Meine Gründe für diesen persönlich motivierten Austritt dürften offensichtlich sein. Es sind die gleichen, mit denen die EBU die Teilnahme Russlands am ESC in Turin abgelehnt hat. Dass der OGAE Germany aus München den „Respekt vor den Opfern des unsäglichen Kriegs“ als expliziten Grund „für eine diesjährige Suspendierung von OGAE Russia“ anführt, ist auch ein Gedanke, den ich aufgewühlt in meinem Herzen bewege.

Beim großartigen ESC 2017 in Kiew durfte ich in unseren knapp zwei Wochen vor Ort einige ukrainische ESC-Fans kennenzulernen. Mit einigen von ihnen bin ich bis heute im Kontakt und im Austausch. Ich kann dennoch nicht im Ansatz erfassen, was sie, ihre Familien und ihre Freunde und Freundinnen seit dem brutalen russischen Angriffskrieg am 24. Februar 2022 für unerträgliches Leid in ihrem Heimatland durchmachen. Ich schäme mich für das Signal, welches OGAE International hier gibt.

Ich lese außerdem von Christian W. in unseren Kommentaren (unter diesem Beitrag von Benny), dass „der von OGAE Russland ausgewählte Interpret nachweislich auf kriegsunterstützenden Konzerten in Russland aufgetreten“ sein soll (mit Quellenangabe). Auch OGAE Ukraine sagt das. Es fehlt die Zeit für eine weitere (dritte) Quelle dieser furchtbaren Botschaft, aber es wird diesen Nachweis in den nächsten Tagen geben.

Wenn dann noch als Bestandteil eines Pro-OGAE-Russland-Argumentebündels in der oben angesprochenen Mitgliedermail vom EC Germany angeführt wird, dass der russische Verein immerhin seine „Mitgliedsbeiträge gezahlt“ habe, dann fällt mir nichts mehr ein. Ernsthaft? Jeder Schrebergarten-Verein hat mehr Feingefühl.

Am Ende dieser Rundmail „bedauert“ das ECG-Präsidium, „dass es nun auch schwierig wird, die Politik selbst aus der Arbeit eines Fanclubs herauszuhalten.“ Nun, das ist eine Binse. Der ESC war noch nie nicht politisch. Und gleichzeitig auch immer ein Festival der europäischen Verständigung. Ich hätte niemals Freunde in Kiew, wenn es den ESC nicht geben würde. Für diesen Spirit zu fighten, das gilt für jeden einzelnen von uns.

Dieser unsägliche Angriffskrieg trifft jeden einzelnen von uns, immer und überall. Ich empfinde es fast als besserwisserisch, wenn ich dafür triviale Belege im Alltag von uns allen von der Energiekrise bis zum Supermarktbesuch aufzähle. Jeder einzelne von uns muss mit diesem europäischen Trauma umgehen. Die „Arbeit eines Fanclubs“ kann auch eine politische Chance sein. Der EC Germany hat sie verpasst.

Deshalb verlasse ich den ECG, egal, ob jetzt die deutsche Teilnahme am OGAE Song Contest zurückgezogen wird oder nicht.


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