Website-Icon ESC kompakt

Express-Interview mit Thomas Schreiber: „Jendriks Auftritt im Juryfinale war auf den Punkt“

Seit dem 1. Mai ist Thomas Schreiber (61) Geschäftsführer der Degeto Film GmbH. Zuvor hatte er seine Aufgaben beim NDR und in der ARD an Nachfolger*innen übergeben. Da er von Anfang an intensiv in den Auswahlprozess des diesjährigen deutschen ESC-Acts Jendrik involviert war, behielt er hier den engen Kontakt zur Delegation um Head of Delegation Alex Wolfslast und war auch einige Tage vor Ort in Rotterdam.

Wie hat das Juryfinale am gestrigen Abend funktioniert und welche Erwartungen hat die deutsche Delegation an das heutige Grande Finale? Darüber aber auch über seine lange Zeit als NDR-ESC-Chef haben wir im Kurz-Interview mit Thomas Schreiber gesprochen, für den der ESC 2021 in Rotterdam auch eine Art Abschied ist – in Bezug auf seine Zeit als ESC-Verantwortlicher der ARD.

ESC kompakt: Herr Schreiber, herzlichen Dank, dass Sie ESC kompakt noch einmal vor Ihrem letzten ESC persönlich auf einige Fragen antworten. Mit welcher Platzierung für Jendrik rechnen Sie heute Abend?

Thomas Schreiber: Schwierig. Wenn ich das wüsste, könnte ich auch beim Roulette die Zahlen vorhersagen. Ich hoffe und denke, es könnte eine fröhliche sein….

Das Dress Rehearsal von Jendrik war nach Meinung vieler Fans der bislang mit Abstand beste Durchlauf. Wie zufrieden sind Sie mit den deutschen Proben?

Das sehe ich auch so, und die zweite Generalprobe, also das Juryfinale, war auf den Punkt. Dafür haben Myriam, Elvin, Madina, Sophia und Jendrik gemeinsam mit Marianas auch ordentlich trainiert. Aber der Auftritt war auch deshalb so gut, weil das niederländische Team um den Regisseur Twan van de Nieuwenhuijzen aus Mega-Profis besteht und alle – inklusive Licht, Kamera und Ton – einfach unglaublich präzise, kollegial, freundschaftlich und hilfsbereit arbeiten. Für mich die professionellste Crew der vergangen Dekade – da haben Sietse Bakker und Martin Österdahl die Latte echt hoch gelegt. Und die Bühne von Florian Wieder ist großartig.

Gibt es etwas, das Sie Jendrik mit auf den Weg gegeben haben?

Na klar habe ich meinen Prep-Up-Talk für Myriam, Elvin, Madina, Sophia und Jendrik – und auch für die wunderbare Delegation um HoD Alexandra Wolfslast, Produktionsleiter Urs Schilke, Assistant HoD Melanie Helmke, Head of Press Ulrike Ziesemer, Aufnahmeleiter Lukas Gödecke und Make-Up-Artist Nina Nohlen – aufgesagt. Stellen Sie sich das vor wie bei einer Fußballmannschaft vor dem Anpfiff: Wenn alle im Kreis sich an den Schultern halten oder bei Schauspielern vor einer Premiere –  nur halt per Social Distancing. Was ich gesagt habe, ist aber bitte nur für den Kreis bestimmt. Eines gehört dazu: von den Zuschauer*innen von Reykjavik bis Jekaterinburg weiß nahezu niemand etwas von Jendrik und seinem Song: die gilt es, in drei Minuten zu verzaubern.

Dieser ESC wird als Ausnahme-Contest ESC-Geschichte schreiben. Sie waren einige Tage in Rotterdam zu den Einzelproben vor Ort. Wie beurteilen Sie die Umsetzung des ESC bei schwierigen Rahmenbedingungen? Und ist es nicht in jedem Falle gut, dass der ESC nicht ein weiteres Mal ausfällt?

Es ist nicht nur eine herausragend gute, super-professionelle Organisation, sondern auch eine Atmosphäre, bei der jedem bewusst ist, welche Verantwortung sein individueller Umgang mit den Hygiene-Regeln für das Zustandekommen des Events hat. Das beginnt bei den Vorbereitungen für die Reise, dem Transport, den regelmäßigen Tests, die jeder derzeit alle 24 Stunden macht, bis hin zu allem, was für die Shows notwendig ist. Ich bin so froh, dass der ESC trotz allem stattfindet und glaube, kaum jemand kann auch nur ansatzweise einschätzen, wieviel Herzblut, Mut und Kreativität nötig war, um diese Woche und den heutigen Abend möglich zu machen.

In unseren Kommentaren wurde und wird immer wieder über die 11,82 Punkte für Jendrik im internen deutschen Finale 2021 diskutiert, weil das bei einer Bewertung von bis zu 12 Punkten bedeutet, dass Jendrik von fast allen Juroren die Höchstpunktzahl erhalten hat. Gab es ein vom ESC-Schema abweichendes Punkteverfahren oder wie erklären Sie sich diese Punktzahl?

Ich versuche, es kompakt zu erklären (für die ausführliche Darstellung bitte bei Digame nachfragen). Also: 11,82 Punkte kann man nicht 1:1 mit den bekannten 12 Punkten beim ESC vergleichen. Die Auftritte beim „internen deutschen Finale“ am 19. November 2020 in Köln wurden von allen 120 Juroren – jeder für sich betrachtet – zunächst auf einer Skala von 1 (schlecht) bis 7 (super) bewertet. Uns ist zu diesem Zeitpunkt wichtig, dass wir die Abstände der Bewertungen der einzelnen Beiträge zueinander nicht verlieren. Anschließend werden die einzelnen, von den Juroren vergebenen Punkte mit einer speziellen Formel umgerechnet. Besonders hohe Bewertungen (7 Punkte, 6 Punkte) werden übergewichtet, durchschnittliche und niedrige Punkte entsprechend geringer gewichtet. Und da hat Jendrik, der durchaus polarisiert, abgeliefert – auch dank seiner Performance in Köln.

Jenseits des deutschen Beitrags: Welche Songs des aktuellen Jahrgangs gefallen Ihnen als jahrzehntelangem Verantwortlichen für Musik- und Unterhaltungsshows persönlich besonders gut und wer wird Ihrer Meinung nach am Ende den ESC für sich entscheiden können?

Ich mag meine Freunde aus Litauen mit „Discoteque“ sehr, „Zitti e buoni“ (Italien) ist wunderbar und sticht so heraus, bei „El Diablo“ (Zypern) bin ich ein Stück weit befangen und den ESC 2022 kann ich mir in Zürich oder Rom vorstellen…

Anfang Mai haben Sie eine neue Aufgabe bei der Degeto übernommen. Wenn Sie auf die 14 Jahre, die Sie den Wettbewerb für die ARD verantworten, zurückschauen: Was sind für Sie – abgesehen vom zweiten deutschen ESC-Erfolg durch Lena – die drei Meilensteine?

Die Zusammenarbeit mit Andreas Bartl bei ProSieben und Stefan Raab und Jörg Grabosch bei „Unser Star für Oslo“, der ESC 2011 mit meinem Team in Düsseldorf, die Herausforderungen 2012 in Baku und Romans großartiger Auftritt, und natürlich der Weg mit Michael nach Lissabon – da fällt mir noch so viel mehr ein! Nicht zu vergessen, die großartigen HoDs an meiner Seite.

Sie haben auch sehr turbulente ESC Jahre erlebt. Gibt es etwas aus dieser Zeit, was Sie heute anders machen würden? Und gibt es etwas, was Sie nicht noch einmal erleben möchten?

Beides – und zwar nicht nur im Konjunktiv: Ich würde nicht Sachen anders machen, ich mache heute Sachen anders, und es gibt Dinge, die Sie kennen, und Dinge, die Sie nicht kennen, die ich definitiv nicht wieder erleben möchte.

In welcher Form wollen oder werden Sie dem ESC verbunden bleiben?

Schauen wir mal – auf jeden Fall als Zuschauer und als Fan des einzigen Abends im Jahr, an dem ganz Europa und Australien zusammenkommen.

Für viele Acts aus Ihrer ESC-Zeit wie Roman Lob und Michael Schulte war der ESC ein Turbo zu großen Karriereschritten. International ist ABBA der erfolgreichste Act, den der ESC je hervorgebracht hat. Das ist lange her. Wird es so etwas jemals wieder geben?

Ja.

Was ist Ihr Lieblingssong von ABBA?

Zu ABBA gibt es noch eine Erinnerung – Ich werde die Nacht, die ich auf einer langen Autofahrt mit Björn Ulvaeus verbringen durfte, nie vergessen. Und bei den Songs kann es nur „Waterloo“ sein, „The Winner Takes It All“, „Thank You For The Music“ und „When All Is Said And Done“….

Herr Schreiber, vielen Dank für dieses Interview so direkt vor dem Finale in Rotterdam. Wir wünschen Ihnen für die berufliche und private Zukunft alles Gute. 


Die mobile Version verlassen