Ralph Siegels deutsch-deutsche Love-Story: So ist das Musical „Ein bisschen Frieden – Summer of Love“ in Füssen

Eurovision-Musical? Liebesdrama? Deutsch-deutsche Geschichte? Slapstick und Massentanzszenen? Ralph Siegel zeigt auch mit seinem neuen Musical „Ein bisschen Frieden – Summer of Love“, dass bei ihm das eine das andere nicht ausschließen muss und – wie schon bei „Zeppelin – Das Musical“ – mehr mehr ist. ESC-Fans mit ausreichend Sitzfleisch entdecken in der ambitionierten Inszenierung immer wieder vertraute ESC-(Vorentscheid)-Perlen.

Die drei ESC-Titel „Frei zu leben“, „If We All Give a Little“ und das namengebende „Ein bisschen Frieden“ bilden den musikalischen Rahmen des Musicals, das am Himmelfahrtstag seine Premiere im Festspielhaus in Füssen feierte. Die beiden erstgenannten kommen gleich beim Auftakt zum Einsatz und lassen das Herz des ESC-Fans höher schlagen: Zur Fluchtszene aus der DDR der 70er Jahre im Schlauchboot über die Ostsee ertönt sehr passend „Frei zu leben“, beim anschließenden Opening präsentiert sich der 30-köpfige Cast zu „If We All Give a Little“. Doch so offensichtlich bleibt der ESC-Bezug nicht. Diverse Vorentscheidtitel aus der Feder von Ralph Siegel, allen voran das in einer Love-Story immer passende „A Miracle of Love“ (deutsche Vorentscheidung 2005) oder „Under The Sun We Are One“ (2016), schleichen sich immer wieder in die musikalische Untermalung der Geschichte.

Foto: Klauke PR

Die Handlung ist dabei gar nicht so einfach zu erzählen: Großmutter Elisabeth (hervorragend gespielt von Sonia Farke) stolpert in einer Ausgabe des MERIAN über ein Bild, auf dem sie meint, ihren bei einem Fluchtversuch vor über 30 Jahren ums Leben gekommenen Geliebten Richard aus der DDR zu erkennen. Er ist nun ein Straßenmusiker in Brighton (Austragungsort des ersten ESC mit einem Beitrag von Ralph Siegel). Mit ihrer Enkelin Nina (gesanglich und schauspielerisch sehr überzeugend Jennifer Siemann, TikTok-Bewerberin für die deutsche Vorentscheidung 2023) begibt sie sich auf die Suche nach ihm. Da Richard in der Zeitschrift ebenfalls angegeben hatte, seine Memoiren schreiben zu wollen, macht sich auch der ehemalige Stasi-Mitarbeiter Krause auf den Weg nach Brighton, der Angst hat, dass seine früheren Schikanen ihn sein heutiges Renommee als angesehener Polizist kosten könnten.

Foto: Wolfang Klauke

Der Weg bis zum Happy End ist natürlich ein langer. Und wie schon bei „Zeppelin“ werden verschiedene Zeitebenen immer wieder miteinander verwoben (Foto oben und unten der junge Richard (Tim Wilhelm) und die junge Elisabeth (Madeleine Haipt)). Dabei wird stellenweise sehr vertiefend in einzelne Ereignisse der Vergangenheit eingetaucht. Aufgrund der Vielzahl der Charaktere und dem Wunsch, vielen von ihnen die Möglichkeit zu seinem Solo zu geben, führt das natürlich zu einem längeren Musical-Abend.

Premiere: „Ein bisschen Frieden – Summer of Love“ (Foto: Benedikt Siegert)

Die teilweise konstruiert wirkende Geschichte wird gerade in der DDR-Komponente erstaunlich korrekt wiedergegeben, was bei manchem jüngeren Zuschauer möglicherweise einige Fragen aufwirft. Natürlich lädt die Absurdität der DDR-Realität bei aller Härte für die damals Betroffenen zu überzogenem Klamauk ein. Diese Chance lässt Ralph Siegel nicht ungenutzt verstreichen. Und so entwickelt sich aus einem Stasi-Anwerbeversuch im Offizierskasino (Foto unten) die gleichzeitig sexuell-offensivste und lustigste Szene: die stark sächselnde Systemprostituierte (sehr bejubelt Henriette Schreiner) singt und tanzt mit ihren Kolleginnen.

Premiere: „Ein bisschen Frieden – Summer of Love“ (Foto: Benedikt Siegert)

Diese Szene, wie manche weitere, arbeitet mit einer umfangreichen Choreografie und vielen Beteiligten. Für solche Massenszenen hat Ralph Siegel offenbar eine Schwäche, der er beim ESC aufgrund der Begrenzung auf sechs Personen auf der Bühne nur bedingt nachkommen konnte. Diese Szenen sind vielseitig und zum Teil so überladen, dass die Zuschauer beim besten Willen nicht alles wahrnehmen können – ein großer Erfolg der Choreographinnen Stefanie Gröning, Alina Groder und Anna Martens. Die Kostümierungen – gerade bei der Begrüßungsszene in Brighton – wirken allerdings mitunter etwas aus der Zeit gefallen, unterhalten aber und sorgen für Abwechslung in der großen Anzahl von Szenen und Liedern.

Premiere: „Ein bisschen Frieden – Summer of Love“ (Foto: Benedikt Siegert)

Entgegen dem Standard ist die zweite Hälfte des Musicals nicht kürzer als die erste. Das liegt auch daran, dass Ralph Siegel hier wirklich alle Songs noch untergebracht hat, die ihm wichtig waren. Diese dienen dann nicht unbedingt dem Vorantreiben der Handlung, sondern erinnern zum Teil an eine Liederrevue. Außerdem zeigen sich an mindestens zwei Stellen auch Stolperstellen beim Übergang zwischen zwei Szenen, etwa wenn derselbe Schauspieler ohne musikalische Untermalung aus der einen Szene abgeht und nach zehn Sekunden in der nächsten allein wieder auftritt.

Generalprobe des Finales von „Ein bisschen Frieden – Summer of Love“

Auch die Auflösung der Handlungsstränge am Ende, für die sich Siegel durchaus Zeit nimmt, könnte noch flüssiger erfolgen. Hier wird es aber im Laufe der Zeit sicher noch Optimierungen geben, wenn sich das Ensemble weiter eingespielt hat. Das sagte Ralph Siegel gegenüber ESC kompakt auch nach der Premiere am Donnerstag im Hinblick auf sein anderes Musical „Zeppelin“. Dies sei jetzt viel besser als noch vor einem Jahr. Und er selbst habe bei der Premiere von „Ein bisschen Frieden“ besonders gelitten, wenn einzelne Mikrofone in großen Gesangnummern nicht offen und die Künstler/innen dadurch nicht zu hören waren.

Premiere: „Ein bisschen Frieden – Summer of Love“ (Foto: Benedikt Siegert)

Bei der Besetzung haben sich Ralph Siegel und sein Team wieder auf die bekannte Mischung aus großen Talenten, bekannten Namen und Wegbegleitern verlassen. Gesanglich überzeugen vor allem Jennifer Siemann, der „The Voice Senior“-Gewinner Dan Lucas und Angelika Erlacher. Tim Wilhelm, aktueller Sänger der „Münchener Freiheit“, und Michael Thurner stemmen ihre umfangreichen Gesangsteile mit hoher Professionalität. NDW-Star Markus Mörl und seine Frau Yvonne König (Sommerhaus der Stars) sind überraschende, aber durchaus erfrischende Köpfe im Ensemble mit Potenzial.

Nach einem langen Musicalabend in Füssen bleiben dann vor allem Bilder von beeindruckende Tanzszenen und vertraute Melodienverläufe als Ohrwürmer, wie sie Ralph Siegel in seiner langen Schaffenszeit immer wieder kreiert hat. Auf einige seiner ganz großen Hits und ESC-Erfolge, aber auch ESC-Beiträge wie „On Again… Off Again“ (Malta, 2004) warten Fans in diesem Musical aber vergebens. Vielleicht hebt sich Ralph Siegel diese für sein nächstes Musical auf? Aller guten Dinge sind bekanntermaßen drei.

Spieltermine von „Ein bisschen Frieden – Summer of Love“ in Füssen – Tickets können hier erworben werden:

  • Sonntag, 28. Mai, 15 Uhr
  • Mittwoch, 7. Juni, 19.30 Uhr
  • Donnerstag, 8. Juni, 16 Uhr
  • Donnerstag, 15. Juni, 16 Uhr
  • Freitag, 16. Juni, 19.30 Uhr
  • Donnerstag, 22. Juni, 16 Uhr
  • Freitag, 23. Juni, 19.30 Uhr
  • Freitag, 7. Juli, 20 Uhr
  • Sonntag, 9. Juli, 18 Uhr
  • Samstag, 15. Juli, 14 Uhr
  • Samstag, 15. Juli, 19.30 Uhr

Transparenzhinweis: ESC kompakt war zur Premiere des Musicals „Ein bisschen Frieden – Summer of Love“ eingeladen; es wurden keine weiteren Kosten übernommen. Derzeit ist eine Anzeige für das Musical auf ESC kompakt geschaltet. 


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18 Comments
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undeuxtrois
undeuxtrois
11 Monate zuvor

Danke für die detaillierte Beschreibung, ähnliches hatte ich erwartet oder vielleicht doch noch etwas mehr Bezug zur ESC-Zeit der 80er, wie es der Titel suggeriert.
Wenn Lou schon da war: Gab es im Verlauf der Handlung auch einen Geburtstag zu feiern? 🙂

Benjamin Hertlein
Admin
11 Monate zuvor
Reply to  undeuxtrois

Nein, kein Geburtstag… 🙁

Timo1986
Timo1986
11 Monate zuvor

Off-topic:

Was wünscht man der Musik-Legende aus Italien Al Bano Carrisi, der nach eigener Aussage heute am 20. Mai nicht achtzig Jahre, sondern vier mal zwanzig Jahre alt wird ? 😀

Am besten, dass er auch weiterhin viel Freude an der Musik hat, viel Gesundheit auch noch zukünftig auf der Bühne stehen zu können und dass er den Umstand des spurlosen Verschwindens seiner ältesten Tochter, die bis heute nicht gefunden wurde und schließlich für Tod erklärt wurde, trotz aller Trauer emotional verkraftet.

Auch wenn seine jüngsten Äußerungen bezugnehmend auf Russland und der Ukraine im Rahmen des Festivals di Sanremo 2023 von ihm besser nicht gesagt worden wären und dies einen kleinen Schatten auf sein musikalisches Wirken wirft, bleibt er unter’m Strich ein sympathischer Mensch.

Sein Canzone Sharazan hat mit dazu beigetragen, dass ich ein großer Fan der italienischen Musik wurde und zum „emotionalen Italiener“ geworden bin. ❤️ ❤️ ❤️

Al Bano und Romina Power wurden mit ihrer Teilnahme beim Grand Prix Eurovision de la chanson 1985 in Göteborg und ihrem erreichten siebten Platz ein Teil der ESC-Family.

Alles Gute zum Geburtstag / Buon compleanno ! 😀

Rusty
Mitglied
Rusty
11 Monate zuvor
Reply to  Timo1986

Herzlichen Glückwunsch Al Bano 🙂

Timo1986
Timo1986
11 Monate zuvor
Reply to  Rusty

@Rusty Mengoni:

Marco Mengoni bringt zusammen mit Elodie am 27.05.2023 eine neue Single heraus. Sie heißt „Pazza musica“ und ich find‘ sie cool. Sehr eighties mäßig, trotzdem irgendwie groovy, tanzbar und … ja….. was soll ich sagen: Marco Mengoni weltklasse eben. 😀 ❤️

Hier der Link vom leider nur 30-Sekunden-Ausschnitt:

https://youtu.be/f1epfzJUtDg

Rusty
Mitglied
Rusty
11 Monate zuvor
Reply to  Rusty

Wow,gefällt mir richtig gut🤩👍
Vielleicht singt er es auch in Frankfurt? Wir haben Tickets 🤩
Du auch?

Timo1986
Timo1986
11 Monate zuvor
Reply to  Rusty

@Rusty:

Ja, ich – bzw. wir – haben Tickets. Allerdings nicht für Frankfurt am Main, sondern für München.

Ich, Matteo, meine Eltern, seine Schwester und ihr Mann treffen uns in München. München ist immer ein geeigneter Ort für uns, wenn wir uns nicht bei mir in HH oder bei meinen Eltern in Baden-Württemberg (Waiblingen) treffen. Ist von Parma aus einfach ideal mit dem Zug nach Mailand und von dort bis zum Münchener Hauptbahnhof zu fahren.

Aber jetzt sprechen auch noch einfach andere Gründe für ein Konzert in München und nicht in Frankfurt. Das Konzert in München findet am Donnerstag, den 02. November statt. Der 01. November ist mit Allerheiligen ein Feiertag, bei dem wir uns schon ein Tag vorher auf dem Weg nach München machen können. Es sind nur zwei Tage, die ich Urlaub nehmen muss. Mit dem Samstag und Sonntag – also den zwei Tagen am Wochenende – sind es vier schöne lange Tage in München, welche ich mit Matteo, meinen Eltern, meiner Schwägerin und meinem Schwager in spe verbringen kann.

Ach so ja. Meine Eltern gehen allerdings nicht mit auf‘ s Konzert. Die werden wahrscheinlich mal wieder ins Münchener Hofbräuhaus gehen und etwas bayerisches Zünftiges essen. 😀

Rusty
Mitglied
Rusty
11 Monate zuvor
Reply to  Rusty

Ich freue mich total ,dass ihr zusammen ( also vor allen Dingen du und Matteo❤️)in München zum Konzert von Marco geht und euch auch noch mit der Familie trefft🙂.Das ist ja genial🙂 Das Konzert in Frankfurt ist ja schon am 27.10.,ich werde dann schon mal berichten. 🙂🙂

Gaby
Gaby
11 Monate zuvor

Bin ja nicht der große Musical-Fan, aber die Geschichte liest sich ganz interessant.

Tobiz
Mitglied
11 Monate zuvor

Jennifer Siemann hat sich ja mit dem überhaupt nicht nach Ralph Siegel klingenden *hust* und leicht grinchigen „The sound of the Universe“ beworben.
Toll, dass sie einen so großen Fan hat.

Thomas M. (mit Punkt)
Thomas M. (mit Punkt)
11 Monate zuvor
Reply to  Tobiz

Jennifer Siemann ist auch im Bericht der Südwest Presse besonders positiv hervorgehoben worden.

Sie dürfte außerdem bestimmt noch viele Fans von „Sturm der Liebe“ haben (als Lucy Ehrlinger, aktuell in den Wiederholungen in „One“ zu sehen).

Und danke für das neue Wort „grinchig“. Das scheint etwas Positives zu sein 🙂

Kari-Nordmann
Kari-Nordmann
11 Monate zuvor

Mmh, ‚Grinch‘ oder ‚cringe‘!? Darin besteht ein gewisser Unterschied… ;-))

Nils
Nils
11 Monate zuvor
Reply to  Kari-Nordmann

Wir kennen hier nur Grinch und Alitscha. Alles andere ist ja nicht Andröösen.

Porsteinn
Mitglied
Porsteinn
11 Monate zuvor

Eigentlich müsste man das Musical schon alleine deshalb besuchen, um herauszufinden ob sich „Frei zu leben“ tatsächlich auch gut anhören kann, wenn es jemand kompetenteres singt…

trevoristos
Mitglied
11 Monate zuvor

Ander ze szann Wi Aa wann. Hilfee!! Tomorrow the sun will shine or it will rain. Let’s get happy. Platitüdenfestival. Muscial. Gähn

Wolfgang Meyer-Rudolph
Wolfgang Meyer-Rudolph
11 Monate zuvor

Die Vorfreude auf MUNICH Anfang November unter diesen besten Umständen muss ja unbändig sein, dear Timo! ENJOY it then, and perhaps from now on in advance.

Flo
Flo
11 Monate zuvor

Malta 2004 war doch nicht von Siegel???? Oder doch?

Porsteinn
Mitglied
Porsteinn
11 Monate zuvor
Reply to  Flo

Komponiert nicht, aber produziert.