Erst zum zweiten Mal veranstaltete die EBU ihren Chorwettbewerb – und man darf hoffen, dass daraus eine Tradition wird. Die Suche nach dem europäischen Chor des Jahres geriet hübsch altmodisch und fand am Ende mit der Formation „Vocal Line“ aus Dänemark (Aufmacherbild) einen äußerst würdigen Sieger.
Aber auch die anderen neun auftretenden europäischen Chöre wussten zu überzeugen in einer knapp zweistündigen Show, die der WDR leicht zeitversetzt zeigte. ESC-Charme verströmte nicht nur Kommentator Peter Urban, der auf Wortspiele und Gags weithin verzichtete, dafür aber mit vielen Infos glänzte.
Auch die Moderation des Briten Petroc Trelawny und der Schwedin Ella Petersson gefiel durch Zurückhaltung, so dass man sich alles in allem gut vorstellen konnte, einem Grand Prix d’Eurovision aus den 70er Jahren beizuwohnen. Keine Trickkleider, keine Windmaschinen, keine enthusiastischen Fans mit Landesflaggen – hier stand die Musik im Vordergrund und das war erstens gut so und zweitens überwiegend landessprachlich. Das wird Nostalgiker zusätzlich gefreut haben.
Erfreulich schnell widmete sich die Show dann auch dem Wettbewerb. Nach dem Eröffnungsact (ABBAs „Mamma Mia“, wie sollte es angesichts des Austragungsortes Göteborg auch anders sein), an dem 300 Musiker inklusive der teilnehmenden Chöre beteiligt waren, ging es auch schon los. Anmoderation, kurzer Einspieler, Gesang, ein schneller, meist pfiffiger Kommentar der Fachjury, Abgang. Und wieder von vorne.
Und als Zuschauer konnte man das einfach genießen, denn die Entscheidung fiel gänzlich ohne Publikumsbeteiligung. Beim „Eurovision Choir“-Wettbewerb vertraut man einzig und allein auf die Kompetenz von drei ausgewiesenen Chor- und Musikexperten. Das kann man sicher auch kritisieren und mehr Basisdemokratie fordern – aber alles in allem machte die Jury unter der Leitung des Briten John Rutter einen äußerst kompetenten Eindruck.
Und musikalisch? Belgiens Chor versuchte sich an einem Medley und packte 8 Songs in 4 Minuten – das wirkte nicht immer sehr rund. Gastgeber Schweden gab unter anderem ein Volkslied mit doch sehr redundantem Text zum Besten. Skurril war der Frauenchor aus Norwegen, der mit grell geschminkten Lippen und bunten Augenklappen auftrat und eine Art Tanztherapie darbot. Der schottische Chor wurde extra für den Wettbewerb gegründet und sang in der schön anzuhörenden gälischen Sprache unter anderem den Song „Alba“ von Runrig. Die Herren traten traditionell im Kilt auf und weil Inklusion immer gut ist, war auch noch eine Sängerin im Rollstuhl dabei. Ein Highlight lieferte der jüngste Chor des Abends aus Wales, der sowohl ein irisches als auch ein walisisches Volkslied auf die Bühne brachte. Hervorzuheben ist die junge Dame, die das Solo sang. Beeindruckend war das und vier Minuten zu schnell vorbei.
Und doch reichte es für alle diese Chöre nicht für das Superfinale, für das sich drei Länder nach Jury-Urteil qualifizieren konnten. Zu denen, die es nicht schafften, gehörten leider auch die Schweizer Vertreter „Cake O’Phonie“ und der deutsche Chor „BonnVoice“ unter der Leitung von Tono Wissing.
Es war vielleicht auch nicht der Abend für deutsche Volkslieder. „O Täler weit“ und „Die Gedanken sind frei“ wurden stimmlich perfekt vorgetragen, die Jury lobte den deutschen Beitrag als einen tollen Mix aus traditionellem Chorgesang und groovigem Swing. „BonnVoice“, die Gewinner des inoffiziellen Vorentscheids „Der beste Chor im Westen 2018“ (mit ESC-Bezug in der Jury: Natalie Horler von Cascada und Jane Comerford von Texas Lightning), müssen sich freilich keine Vorwürfe machen nach diesem sehr guten Auftritt.
Die Schweizer Kakophonie war absolut keine, sagte Jury-Präsident Rutter. Und er lag richtig. Er fühlte sich durch das Medley von „Cake O’Phonie“ an einen Sonnenuntergang in der schönen Schweizer Landschaft erinnert. Das ist schon etwas sehr blumig formuliert, aber das Schweizer Medley, das in allen offiziellen Landessprachen zu hören war, wirkte über die volle Länge sehr rund und harmonisch.
Das Superfinale bestritten neben den Dänen noch der lettische Chor „Maska“ und die slowenische Jazz-Formation „JazzVa“. Die Letten waren in der Vorrunde mit einem Volkslied etwas mystisch-düster unterwegs, boten im Superfinale dann in landestypischer Tracht die ganze Palette an Folklore. Das war kraftvoll gesungen und von der Jury mit dem zweiten Platz belohnt worden. Die Slowenen landeten also auf Platz 3, lieferten aber vor allem mit ihrem zweiten Auftritt richtig ab und die Jury hob vor allem die „awesome voices“ der drei Damen und vier Herren hervor.
Die Dänen überstrahlten freilich alles. Mit ihren Arrangements von Singer/Songwriter-Pop von Tina Dico („True North“) und Lisa Nilsson („Viola“) sangen sie sich in den Vordergrund und lieferten mit diesen modernen Klängen einen schönen Kontrast zu Swing aus Norwegen und traditioneller Folklore aus Lettland.
Ein schöner und nostalgischer Abend, bei dem die Musik im Vordergrund stand, ging zu Ende mit einem ABBA-Medley und mit der Erinnerung an Jon Ola Sand, Executive Supervisor der EBU, der in einem Einspieler zu sehen war. Er pries den Wettbewerb an als eine Reise durch Europas verschiedene Kulturen und Traditionen. Wenn er federführend für die EBU diese Reise exakt so fortsetzt, wäre das sehr wünschenswert und die Suche nach Europas bestem Chor für die „ESC-Showfamilie“ eine tolle Bereicherung.