Erdoğan bleibt Präsident – Was das für die ESC-Zukunft der Türkei bedeuten könnte

Bild: Pixabay / EBU

Am Sonntag hat die Türkei final entschieden, ob es einen politische Wandel im Land gibt, oder doch alles – vereinfacht gesagt – beim Alten bleibt. Letzteres ist eingetreten, da sich Recep Tayyip Erdoğan in der Stichwahl der Präsidentschaftswahl (auch dank Stimmen aus Deutschland und Österreich) durchsetzen konnte. Zwar war es ein denkbar knapper Sieg und vor allem in vielen türkischen Großstädten konnte Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu mehr Stimmen sammeln; dennoch bleibt Erdoğan nun für mindestens weitere fünf Jahre Präsident.

Diese Zeilen klingen bislang vielleicht eher untypisch oder gar befremdlich für ESC kompakt, aber die aktuelle politische Situation in der Türkei ist definitiv ein Anlass, die ESC-Zukunft des Landes genauer zu beleuchten. Im Wahlprogramm von Erdoğans Hauptgegner, der Opposition rund um Kılıçdaroğlu, gab es bereits eine Art „ESC-Versprechen“:

Wir werden die Türkei wieder auf die europäische Bühne zurückbringen“, hieß es von Seiten der Opposition. Durch einen Wechsel im Amt des Präsidenten wäre also wohl auch die ESC-Teilnahme wieder deutlich wahrscheinlicher geworden; da sind sich zumindest viele Fans sicher. Nun hat Kılıçdaroğlu aber nicht gewonnen. Ist eine türkische Teilnahme am ESC also weiterhin absolut undenkbar?

Rückblick auf das türkische ESC-Aus

Die Türkei verabschiedete sich bereits 2013 vom Wettbewerb, kurz bevor Erdoğan Präsident wurde, mit der offiziellen Begründung, man finde das Abstimmungsmodell „unfair“. Dass die Türkei in der Zwischenzeit aber nicht wieder zum ESC zurückgekehrt ist, liegt zumindest teilweise auch an der konservativen Haltung und dem Einfluss des Präsidenten auf die nationalen Medien. Dass die Türk:innen selbst gerne wieder Teil des Wettbewerbs wären, zeigt eine aktuelle Umfrage, bei der über 95% angeben, die Türkei wieder beim ESC sehen zu wollen.

Hinter den – mehrfach geäußerten – Kommentaren der Verantwortlichen des Staatsfernsehens TRT, man wolle nicht an einem Wettbewerb teilnehmen, der „Menschen mit ungewissem Geschlecht“ (Anspielung auf Conchita Wurst) zeigt und „Kinder verwirren könnte“, vermuten viele auch Erdoğans Einfluss. Der für den ESC verantwortliche Sender TRT (den es mittlerweile auch auf Deutsch gibt) hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Unabhängigkeit verloren und berichtet stattdessen mehr und mehr im Sinne von Erdoğans Partei AKP.

Wenn also die Vermutung stimmt, dass auch Erdoğan über eine mögliche Teilnahme (mit-)bestimmt, kann man sicher davon ausgehen, dass die Türkei weder 2024 in Schweden, noch in den kommenden Jahren am ESC teilnehmen wird. Dafür ist das Bild, das Erdoğan von der Türkei zeigen will, viel zu veraltet. Moderne Ansichten zu Meinungsfreiheit, Pressefreiheit oder Demokratie teilt er nicht, wie mehrere Äußerungen belegen.

Hoffnung für kommende ESC-Ausgaben?

Es gibt jedoch auch Stimmen, die sagen, die Nicht-Teilnahme der Türkei hätte andere Gründe. Hinweise darauf sind Gespräche, die die EBU laut eigenen Aussagen im Jahr 2021 mit TRT geführt hat. Bei diesen Gesprächen soll auch viel über eine mögliche Rückkehr zum ESC diskutiert worden sein. Obwohl es am Ende nicht zum Comeback gekommen ist, wurde das doch als positives Zeichen gewertet. Warum würde man solche Gespräche führen, wenn sowieso klar ist, dass die Türkei nicht an einem Contest teilnimmt, der für Diversität, Offenheit und Toleranz steht?

Die Antwort könnte eine sein, die nichts mit der Tagespolitik zu tun hat: TRT geht es auch um das Abstimmungssystem. Wenn wir uns die letzten Teilnahmen der Türkei genauer anschauen, wird klar, dass entsprechende Aussagen nicht nur Ausreden dafür waren, dass der Präsident keine Lust auf einen modernen Musik-Wettbewerb hat.

Schon 2009 in Moskau konnte der türkische ESC-Act, Sängerin Hadise, bei der Jury nicht so gut abschneiden wie im Televoting. Dasselbe Bild wiederholte sich 2011 – mit einer dramatischen Auswirkung: wegen der schlechten Jurywertung konnte sich die Türkei in Düsseldorf erstmals nicht für das ESC-Finale qualifizieren. Gerüchten zufolge soll TRT im Folgejahr nur noch am ESC teilgenommen haben, weil der Nachbar und Verbündete Aserbaidschan Gastgeber war. Doch auch hier bot das Ergebnis erneut Anlass, die Abstimmung als „unfair“ zu betiteln: Vertreter Can Bonomo landete bei der Jury auf einem abgeschlagenen 22. Platz, während die Zuschauer:innen ihn auf Platz 4 wählten.

Die EBU rüttelte dennoch nicht an der 50/50-Stimmverteilung beim Wettbewerb – bis jetzt. In diesem Jahr fiel beispielsweise zum ersten Mal das Juryvoting in den Halbfinals komplett weg. Vielleicht auch durch den Einfluss von Supervisor Martin Österdahl, der seit 2021 neuer ESC-Leiter ist. Während der Gespräche mit TRT vor zwei Jahren zeigte sich TRTs Generaldirektor Ali Eyüboğlu begeistert von Österdahl:

„[Bereits in der Vergangenheit sagte TRT,] dass die Türkei ohne eine Änderung des Abstimmungssystems nicht wieder teilnehmen würde. Der Vorstand steht immer noch hinter dieser Entscheidung, aber wir sprechen jetzt erneut mit der EBU. Sie hat einen neuen, sehr guten Geschäftsführer aus Nordeuropa. (…) Unsere Kollegen haben Gespräche mit dem neuen Geschäftsführer aufgenommen.“

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Jon Ola Sand, scheint Österdahl deutlich offener für Änderungen beim ESC zu sein, wie auch dieses Jahr bei der Abstimmung in den Halbfinals zu sehen war. In Anbetracht dessen, dass mehrere Delegationen und auch Teile der ESC-Fancommunity mittlerweile weniger Votingmacht für die Juror:innen fordern, könnte sich 2024 an den Abstimmungsregeln tatsächlich noch mehr ändern, was wiederum auch TRT positiv stimmen könnte.

Wird Martin Österdahls Einfluss auf den türkischen Sender und seine Bereitschaft zur Fortentwicklung des Wettbewerbs neben Luxemburg auch die Türkei zum ESC 2024 zurückbringen? Oder wird ein Türkei-Comeback am Ende doch vom wiedergewählten Erdoğan verhindert? Eine klare Antwort scheint es darauf zwar noch nicht zu geben, ganz ausgeschlossen ist eine Rückkehr aber wohl nicht.

Was denkst Du? Gibt es eine Chance, dass die Türkei – trotz Erdoğans Sieg – nächstes Jahr beim Eurovision Song Contest in Schweden dabei sein wird? Welchen Act würdest Du gerne für die Nation auf der ESC-Bühne sehen? Lass uns gerne Deine Meinung da.


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94 Comments
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Rainer 1
Rainer 1
11 Monate zuvor

Wenn herr östetdahl nächstes jahr das alleinige televoting einführt, sind die türken garantiert schnell wieder dabei. Da die türkei jetzt wieder vor einer massiven ausreisewelle steht, wird die türkische diaspora nochmal kräftig wachsen.

biobanane auf Reisen
biobanane auf Reisen
11 Monate zuvor
Reply to  Rainer 1

In so manchen Köpfen existiert sowas wie die EU Außengrenzen nicht. Selbst als Familiennachzug ist es äußerst schwer sowas wie ein „Ausreisewelle‘ zu machen.

Jan Wehner
Jan Wehner
11 Monate zuvor

Wenn die Türken ein Problem mit dem Wertungssystem haben, dann sollen sie halt eben fernbleiben. Es ist richtig und wichtig, dass wir Juries haben, so können auch Länder ohne Diaspora und große Nachbarschaft (und auch Balladen) die Punkte erhalten, die ihnen zustehen. Alika z.B. wäre bei reinem Televoting nur 19. geworden und damit weit vom verdienten achten Platz entfernt gewesen.

Der Wettbewerb ist durch das Naturgesetz der Vergabe hoher Punktzahlen an kulturell und geographisch nahestehende Länder genug verzerrt, da kann es nicht angehen, dass Länder wie die Türkei selbst durch mittelmäßige Beiträge erfolgreich werden können, nur weil Staatsbürger im Ausland für die jeweiligen Kandidaten fleißig abstimmen, egal wie gut oder schlecht das Lied ist.
Dieser Pannenauftritt bekam 12 Punkte u.a. aus Deutschland: https://www.youtube.com/watch?v=iQqQZpHmIR0
Warum wohl?

Man sollte sich nicht zu sehr erweichen lassen. Die Türkei hatte (wie auch Russland z.B.) jahrelang einen unfairen Vorteil durch das Diasporavoting. Er darf nie wieder zurückkommen!

Porsteinn
Mitglied
Porsteinn
11 Monate zuvor
Reply to  Jan Wehner

Na ob das damals nur Portugiesen waren, die in bei uns abgestimmt haben? Immerhin hat das deutsche Publikum auch kurz zuvor solche Uptemo-„Perlen“ wie „Let’s get happy“ zum ESC geschickt. Einfach etwas anspruchslose Stimmungsmucke und die 12 deutschen Punkte sind sicher. 😉

Thomas M. (mit Punkt)
Thomas M. (mit Punkt)
11 Monate zuvor
Reply to  Porsteinn

Nun, ich scheine wohl auch ein Fan von solch „anspruchsloser Stimmungsmucke“ zu sein, für mich ist „Let’s get happy“ weiter einer der besten deutschen ESC-Beitrage dieses Jahrtausends (was allerdings auch keine allzu große Kunst ist) und auch „Amar“ von 2B kann ich Einiges abgewinnen.

Habe ich hier eigentlich schon mal erwähnt, dass mir „Lied mit gutem Text“ recht gut gefällt 😉 ?

eurovision-berlin
eurovision-berlin
11 Monate zuvor

Gegenmeinung: Für die Türkei lohnt sich derzeit der ESC nicht, ich glaube, die haben vor Jahren schon kritisiert, dass der ESC wirtschaftlich und politisch zu sehr amerikanischen Interessen dient.
Gedankenspiele: Die Diaspora wählt ja gerne ihr eigenes Land, zumal im Falle Türkei die Beiträge mit den Jahren immer besser wurden. Und da wäre es doch ein schönes politisch-militärisches Mittel zu behaupten, dass trotz super Song kein Türke für die Türkei anruft, weil Erdogan doof ist. Oder auch das Gegenteil wäre denkbar: Man lässt die Türkei gewinnen und Erdogan muss dann seine europäischen Gegner bewirten.
Mich würde es jedenfalls sehr wundern, wenn die Türkei wieder einsteigt.

Tim S.
Tim S.
11 Monate zuvor

Erdogan ist ein so ein A****h. Dadurch wird die Türkei nächstes Jahr nicht zurückkommen, leider. Übrigens hier eine Petition, damit wenigstens noch ein Land nächstes Jahr zurückkommt: https://chng.it/NwNCFBKJ

fetterhase2006
fetterhase2006
11 Monate zuvor
Reply to  Tim S.

Marokko als Rückkehrer klingt interessant, ich habe unterschrieben

Wolfgang Meyer-Rudolph
Wolfgang Meyer-Rudolph
11 Monate zuvor

Gut, richtig und wichtig, dass und was du zur aktuellen Lage in der Türkei schreibst, RICK!

AlexESC
AlexESC
11 Monate zuvor

So lange die Wahl in einem Land fair abläuft möchte ich mich nicht dort einmischen, auch wenn mir persönlich das Ergebnis dort nicht gefällt. Ich hoffe nur, dass die türkischen Wähler, welche hauptsächlich im Ausland leben, nicht einfach blind darauf losgewählt haben, sondern sich auch wirklich Gedanken gemacht haben, ob sie diese Politik auch in Zukunft wollen und ob diese Politik auch z.B. für ihre Verwandten in der Türkei noch die richtige ist.

Der ESC 2004 in der Türkei war der erste ESC mit einem Halbfinale und in diesem Jahrgang wurde auch das ESC-Herz-Logo eingeführt. Zuvor hatte der ESC ja kein „Standratlogo“. Ich frage mich bis heute, ob das Herzlogo -welches damals auch gleichzeitig das Theme war- eine Idee von der türkischen Rundfunkanstalt ist und die EBU dieses Logo so gut fand, dass man es auch zukünftig als Standratlogo verwenden wollte, oder ob dieses Logo von vornherein von der EBU als Standrat-ESC-Logo geplant war.

floppy1992
Mitglied
floppy1992
11 Monate zuvor
Reply to  AlexESC

Ich denke, letzteres ist der Fall.
In Hinblick auf 2004 wurde das Reglement ja generell überarbeitet (so wurde die Veröffentlichungsfrist der Songs auf den 1. Oktober des Vorjahres festgeschrieben, die Televoting- und Halbplayback-Pflicht eingeführt und die Bezeichnung „Grand Prix“ für die Siegertrophäe gestrichen). Im Zuge dessen hat man dann sicherlich auch entschieden, eine feste Corporate Identity durch das Logo einzuführen, wobei es natürlich sein kann, dass das türkische Fernsehen da eingebunden war und Vorschläge machen konnte.

disneyfan5000
disneyfan5000
11 Monate zuvor
Reply to  AlexESC

Du hast gerade was sehr wichtiges geschrieben.“So lange die Wahl in einem Land fair abläuft“ War denn die Wahl in der Türkei fair? Wenn die Regierung den ganzen Medienapparat nutzen kann, um für sich zu werben? Oder wenn Erdogan in Deutschland Wahlwerbung für sich machen kann? Was soll das eigentlich, das ein Präsident aus einem anderen Land, hier bei uns Wahlkampf machen kann? Das gibts doch sonst nicht, das müsste eindeutig verboten werden. Auch das hier lebende Türken die Wahl in der Heimat beinflussen können, gibts doch sonst auch nicht. Entweder lebe ich hier oder ich lebe nicht hier? Das müsste auch unterbunden werden. Wenn ich als Deutscher in anderem Land lebe, kann ich ja auch nicht an der Bundestagswahl teilnehmen. Natürlich wird die Türkei am ESC nicht teilnehmen und so lange der Erdogan an der Macht ist, können sie auch weiterhin gern wegbleiben. Ich habe die Türken nicht vermisst.

Nils
Nils
11 Monate zuvor
Reply to  disneyfan5000

„Wenn ich als Deutscher in anderem Land lebe, kann ich ja auch nicht an der Bundestagswahl teilnehmen.“

Doch, doch, das ist eigentlich in jedem Land so:
https://quito.diplo.de/ec-de/service/2015-06-10-wahlrecht/1775698

Thilo mit Bobby
Mitglied
Thilo mit Bobby
11 Monate zuvor
Reply to  disneyfan5000

Da hast du wohl Recht Nils. Ich hab das auch nicht gewusst. Danke für die Info. Ich denke das wird bei der Wahl nicht extra aufgelistet und es deshalb nicht so geläufig. Es gibt ja bei der Bundestagswahl kein extra Ergebnis zB aus Mallorca, ich denke das fällt alles unter Briefwahl

4porcelli - The 🦦’s the best
4porcelli - The 🦦’s the best
11 Monate zuvor
Reply to  disneyfan5000

@Thilo – genau als ich in den USA wohnte, gingen die Briefwahlunterlagen immer an meine Eltern.

biobanane auf reisen
biobanane auf reisen
11 Monate zuvor
Reply to  disneyfan5000

Da ist UK weiter, wohl weil denen die Weltweite Wählerei im Weltreich zu kompliziert war. Wer fünf Jahre keinen Wohnsitz im Land hat, verliert das Wahlrecht.

Matty
Matty
10 Monate zuvor
Reply to  disneyfan5000

Berlusconi ist tot!

floppy1992
Mitglied
floppy1992
11 Monate zuvor

Unter Erdogan wird es keine Rückkehr geben.
Man bräuchte sowieso nicht damit rechnen, dass aus der Türkei heute noch Ethno-Pop mit Shake-Shake-Auftritten käme; wohl eher verklausuliert-nationalistisches Liedgut von (männlichen) Speichelleckerbands.
Mich wundert eigentlich ein bisschen, dass Polen trotz stramm national-konservativer Regierung immer noch dabei ist.

ESC1994
ESC1994
11 Monate zuvor
Reply to  floppy1992

Oder biederer Schlager vorgetragen von konservativ gekleideter Sängerin.

AlexESC
AlexESC
11 Monate zuvor
Reply to  floppy1992

Polen ist ein Land mit sehr vielen ESC-Fans! Ebenfalls ist Polen eines der wenigen Länder in welchen sogar auch der JuniorESC in der breiten Öffentlichkeit verankert ist, vor allem auch durch die Siege in 2018 und 2019. Da würde man sich ins eigene Fleisch schneiden nicht mehr am ESC/JESC anzutreten.

ESC1994
ESC1994
11 Monate zuvor
Reply to  AlexESC

Außerdem ist die polnische Medienlandschaft noch nicht so gleichgeschaltet wie in der Türkei. Es gibt durchaus noch Zeitungen und auch Fernsehsender die eine neutrale bzw. auch regierungskritische Berichterstattung bringen.

Nils
Nils
11 Monate zuvor
Reply to  floppy1992

@ floppy1992

Ich habe das Gefühl, dass Putins Angriff da ein gewisses Umdenken bewirkt hat. Plötzlich entdeckte PiS Europa wieder und möchte nicht mehr in Orbans Team spielen. Eigentlich eine gute Nachricht – nur leider unter den falschen Umständen zustande gekommen.

Pablo
Pablo
11 Monate zuvor

Danke für diesen gut recherchierten und informativen Artikel, Rick!

Ich denke der ESC hat insgesamt in der Dekade 2003-2012 für ein modernes, offenes und letztlich positives Bild der Türkei in Europa beigetragen. Eigentlich ein Geschenk, dass man sich nicht entgehen lassen möchte, wenn man was vom Westen will.
Ich denke je älter Herr E. in Ankara wird, desto mehr sieht er die Türkei als autark und stark genug und die Anbiederung an das Ausland wird immer unwichtiger für ihn. Das hat natürlich sehr facettenreiche und bis ins letzte Detail politisch komplizierte Gründe.

Interessant natürlich auch, dass der nächste Gastgeber gerade Schweden ist, da ist ja noch was offen, da fühlt sich Herr E. sicherlich wohl in seiner Rolle am längeren Hebel zu sein.
Und dann ist auch noch der Österdahl Schwede… oh la la, das könnte noch spannend werden. Mindestens auf ESC-Ebene wird das ein diplomatischer Coup, wenn der Martin den Recep ins Boot kriegt.

Musikalisch würde ich mich sehr darüber freuen, wenn die Türkei nächstes Jahr oder später wieder dabei wäre.

Aber mal noch eine Nachfrage, gilt noch die Regel, dass wenn man teilnehmen möchte, dass der letzte Contest im interessierten Land ausgestrahlt werden soll? Weiß man, ob TRT den 2023 Contest ausgestrahlt hat?

floppy1992
Mitglied
floppy1992
11 Monate zuvor
Reply to  Pablo

Nein, die Regel wurde 2011 für die Rückkehr Italiens abgeschafft.

Manboy
Manboy
11 Monate zuvor

Musikalisch hat die Türkei sicherlich den ESC bereichert, keine Frage. Das mit der Begründung ist vermutlich eher nur ein Vorwand, um nicht teilzunehmen. Vielmehr sind sozial-/ gesellschaftspolitische Gründe ausschlaggebend. Sie werden 2024 nicht Dabeisein und das ist vielleicht auch besser so. Also ich persönlich kann ohne die Türkei beim ESC gut leben. Und die Leute dort haben mit Inflationsraten von teilweise bis an die 100%, einer Währung, die ins fast bodenlose abgestürzt ist und einer Zentralbank, die genau das Gegenteil macht was notwendig wäre, sicherlich auch andere Themen.

ESC1994
ESC1994
11 Monate zuvor

Na ja, so ganz schlüssig finde ich die Erklärung mit dem Votingsystem auch nicht. Die ersten Jahre hat es die ja auch nicht gestört von den Jurys weniger Punkte bekommen zu haben und kaum fliegt man einmal verdient raus fällt einen plötzlich ein dass das System voll doof ist??

Ich persönlich vermisse das Land nicht wirklich um ehrlich zu sein, die Songs nach der Jahrtausendwende fand ich alle eher mäßig. Mein Favorit ist „Dinle“ aus dem Jahr 1997.

Gaby
Gaby
11 Monate zuvor
Reply to  ESC1994

„Dinle“ ist auch mein Favorit.

Thomas M. (mit Punkt)
Thomas M. (mit Punkt)
11 Monate zuvor
Reply to  ESC1994

„[D]ie Songs nach der Jahrtausendwende fand ich alle eher mäßig. Mein Favorit ist „Dinle“ aus dem Jahr 1997.“

Zustimmung, wobei ich „nach der Jahrtausendwende“ durch „nach 2002“ ersetzen würde, denn 2001 („Sevgiliye son“ von Sedat Yüce) fand ich sehr schön, mit leichten Abstrichen auch noch 2002, danach gefiel mir nichts mehr richtig, davor sehr viel. Meine absoluten Highlights waren die Premiere 1975 („Seninle bir dakika“ von Serniha Yanka), Pan mit „Bana Bana“ 1989 und die beiden Titel von Sebnem Paker, „Besinci Mevsim“ 1996 und „Dinle“ 1997.

In den ersten beiden Jahrzehnten ist die Türkei viel zu oft viel zu schlecht bewertet worden!

Gaby
Gaby
11 Monate zuvor

Die Türkei war natürlich musikalisch eine echte Bereicherung für den ESC, aber ich muss ehrlich sagen, unter den gegebenen Umständen bräuchte ich sie auch nicht wirklich beim ESC. Einfach, weil Herr Erdogan bzw. seine Gefolgschaft nicht bereit sind, die freiheitliche, demokratische Gesinnung der EBU zu respektieren.
Freue mich dafür um so mehr auf Luxemburg nächstes Jahr.

P. S. Es ist wirklich ein Jammer, dass der Diktator erneut an der Macht ist, aber das war ja zu befürchten.🙁

ESC1994
ESC1994
11 Monate zuvor
Reply to  Gaby

@Gaby

Und wenn man sieht wie die hier lebenden Türken abgestimmt haben und dann mit Autokorsos den Sieg feiern als ob sie Weltmeister geworden wären weiß ich nicht was ich empfinden soll. Eine Mischung aus Ratlosigkeit, Trauer und auch viel Wut würde ich sagen. 🙁

Gaby
Gaby
11 Monate zuvor
Reply to  ESC1994

Dachte mir auch: Die brauchen ja nicht unter dem Diktator zu leiden, sie sind ja hier in relativer Sicherheit.
Dieser Mensch treibt die Türkei noch weiter in die Isolation und ins Mittelalter, und sie merken es nicht (oder wollen es nicht merken? Man weiss es nicht…🙁

ESC1994
ESC1994
11 Monate zuvor
Reply to  ESC1994

@Gaby

Ist nicht nur hier so, auch in anderen Staaten haben die dort lebenden Türken ähnlich gewählt:

Deutschland – 67,22 % Erdogan
Österreich – 73,85 % Erdogan
Belgien – 74,70 % Erdogan
Niederlande – 70,59 % Erdogan
Frankreich – 66,77 % Erdogan

Liegt vor allem daran dass die Türken die damals hergekommen sind überwiegend aus den sehr religiösen und konservativen Teilen Anatoliens stammten, und diese Einstellung hat sich irgendwie erhalten. Wenn man auch bedenkt dass viele Türken hier hauptsächlich türkische Medien konsumieren und die überwiegend von Erdogan auf eine Linie gebracht wurden überrascht mich das leider gar nicht obwohl ich natürlich was anderes gehofft hätte.

4porcelli - The 🦦‘s the best
4porcelli - The 🦦‘s the best
11 Monate zuvor
Reply to  ESC1994

@ESC1994 – das eigenartige ist ja, dass die türkischen Migranten der 1. und 2. Generation sehr gut integriert waren, bei der 3 ist irgendwie bei vielen was schiefgegangen. Sehr seltenes Phänomen, allgemein sind Leute besser integriert, ja länger sie im neuen Heimatland sind. 3. & 4. Generation eigentlich „wie wir.“ Die zunehmende Erdogan- Propaganda in allem von Medien zu Moscheen hilft sicher nicht.

ESC1994
ESC1994
11 Monate zuvor
Reply to  ESC1994

@4porcelli

Meine Eltern sind aus Polen, aber das einzig wirklich polnische an mir ist mein Nachname. Ok, außerdem mag ich polnischen Essen, besonders Bigos und Pierogi ruskie.

4porcelli - The 🦦‘s the best
4porcelli - The 🦦‘s the best
11 Monate zuvor
Reply to  ESC1994

@ESC1994 – pierogi mag ich auch, wobei ich die aus der jiddischen Küche kennengelernt habe.

ESC1994
ESC1994
11 Monate zuvor
Reply to  ESC1994

@4porcelli

Es gibt eigentlich in fast gesamt Osteuropa so Teigtaschen. Zu den Pierogi dann noch viel geschmolzene Butter drüber. Mit geschmolzener Butter schmeckt bekanntlich ja alles besser. 😉

togravus ceterum
Mitglied
11 Monate zuvor

Nachdem der Erdo bereits in seiner ersten Ansprache gegen die „Perversen“ gewettert hat, sehe ich für eine ESC-Teilnahme schwarz. Ich frage mich generell, warum Hass, Vorurteile und ein Überlegenheitsgefühl für so viele Menschen in so vielen Ländern attraktiv ist. Ich finde das wiederlich!

Schlippschlapp71
Schlippschlapp71
11 Monate zuvor

Lieber Toggie, ich frage mich das auch immer wieder. Allerdings muß ich auch feststellen, daß hierzulande das AfD-Potenzial wesentlich höher ist als die Prozente bei Wahlen. Wenn ich die Leute so reden höre….. Da ist eine vernünftige Diskussion nicht mehr möglich.

Nils
Nils
11 Monate zuvor

Die Begründung mit dem Votingsystem war doch schon damals nur vorgeschoben. Man darf ja nicht vergessen, dass Can Bonomo bei der letzten türkischen Teilnahme am Ende 7. wurde – wohlgemerkt mit einem Song, der im Finale überhaupt nichts verloren hatte. Dass er selbst damit aufgrund des Diaspora-Votes beim Publikum sogar 4. wurde, spricht nicht gegen, sondern für das System.

Noch lächerlicher ist aber die Begründung, dass Conchita & Co. die armen türkischen Kinder verwirren, wenn nicht gar traumatisierten könnten. Vom widerlichen homophoben Bullshit mal abgesehen: Die Türkei ist uns zwei Stunden voraus, der ESC läuft da also von 23:00 Uhr bis 03:00 Uhr. Wenn diese Kinder vor irgendwem geschützt werden müssten, dann theoretisch wohl eher vor ihren Erziehungsberechtigten, denn vor Conchita.

Pablo
Pablo
11 Monate zuvor

Thanks Floppy, das ist dann völlig an mir vorbeigerauscht

lasse braun 🏴‍☠️
lasse braun 🏴‍☠️
11 Monate zuvor


lasse besingt die fahrradkette. 🍿

Haraldur
Haraldur
11 Monate zuvor

Dinle! Schafft die Jurys ganz ab, dann sind sie bestimmt bald wieder dabei.

Ich finde es übrigens ziemlich absurd, wenn im Zusammenhang mit Diaspora-Voten von „Staatsbürgern im Ausland“ gesprochen wird. Wenn ich eine andere Staatsbürgerschaft annehmen würde, dass würde sich mein Musikgeschmack dadurch 0,0 ändern. Aber das ist doch auch egal, dann gibt es eben viele Menschen bei uns, deren Familien aus der Türkei stammen und die einen dadurch geprägten Musikgeschmack haben. Sollen sie deshalb beim ESC nicht abstimmen dürfen?

Mir scheint es grade ein Problem zu sein, dass Türken hier selbst dann nicht akzeptiert werden, wenn sie super integriert sind. Also laufen sie Erdogan in die Arme.

togravus ceterum
Mitglied
11 Monate zuvor
Reply to  Haraldur

Ganz so einfach ist es, glaube ich, nicht. Es wählen ja nur jene Türken in Deutschland, die sich nach wie vor sehr mit der Türkei verbunden fühlen. Der Rest, der sich in Deutschland wohl und angekommen fühlt, wählt ganz einfach nicht. Und da nur 50 % gewählt haben, sollte man das Ganze nicht zu sehr aufblasen. Klar, ich ärgere mich auch, wenn ich feiernde Sultan Erdo-Fans sehe, aber alle Türken, die ich kenne, ärgern sich genauso wie ich.

ESC1994
ESC1994
11 Monate zuvor

ceterum

Eben. Die Wahlbeteiligung war ja nur so 50 %, und die Türken die eher liberaler eingestellt sind haben meistens schon die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen und sind daher nicht wahlberechtigt.

biobanane auf reisen
biobanane auf reisen
11 Monate zuvor

Üblicherweise bekommen Türken die türkische Staatsbürgerschaft wieder zurück, wenn sie die wegen der deutschen abgeben mussten. Auch deswegen wird ja gerade das Staatsbürgerschaftsrecht reformiert, dass sowas nicht mehr illegal ist.

Schlippschlapp71
Schlippschlapp71
11 Monate zuvor

@ Toggie

Das kann auch ich bestätigen (in Offenbach ist die türkische Gemeinde bekanntlich groß)

Der Thoddy
Der Thoddy
11 Monate zuvor

Solange unsere Deutsch-Türken einen Despoten, der gedanklich im Mittelalter stehengeblieben ist wählen und die Türken in der Türkei dort noch weiter ins Unglück stürzen, solange brauche ich keinen türkischen Vertreter beim ESC. Von mir aus dürfen unsere Erdogan Anhänger alle wieder in ihre geliebte Türkei auswandern und ihrem Sultan dort huldigen.
Ja, ich weiß – es ist schade um die türkischen Beiträge beim ESC (ich vermisse sie auch) – und eigentlich mag ich auch nichts mehr zur Politik sagen ….aber manchmal überkommt es mich dann doch (dafür Entschuldige ich mich recht herzlich).

Nun noch ein kleiner Gedanke zum Voting:
Ich schlage vor, dass man die Punkte der Anrufer in ein System von 1 Punkt bis 26 Punkten (bei 26 Ländern im Finale) umrechnet. Dann würden auch die Länder, die eben nicht in die Top 10 kommen angemessen Punkte erhalten und den Einfluss der Jurys würde ich auch 30 % begrenzen. Um zu schauen, ob so etwas umsetzbar ist, könnte man das doch beim JESC 2023 im November testen.

sam
sam
11 Monate zuvor

OFF Topic:

Beim Junior ESC in diesem Jahr muss der
Gesang live sein. Auch die Backing Vocals. Außerdem wird es Regeln zum Jugend und Kinderschutz geben, die alle Rundfunkanstalten einhalten müssen. Die werden aber zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.

Zudem sind die Castings in Spanien gestartet.

Hier steht alles drinnen:

https://eurovision-spain.com/rtve-abre-el-casting-para-representar-a-espana-en-eurovision-junior-2023/

sam
sam
11 Monate zuvor
Reply to  sam

Hier nochmal auf Englisch, der Beweis:

https://eurovoix.com/2023/05/30/junior-eurovision-2023-all-vocals-must-be-performed-live/

Das ist also eine Neuerung in diesem Jahr.

Matty
Matty
11 Monate zuvor
Reply to  sam

Beim ESC 2024 fallen dann hoffentlich die bereits vorab aufgezeichneten Backings auch weg!

Mikayil
Mikayil
11 Monate zuvor

Wir Türken sind keine Europäer! Europa ein christlicher Kontinent!
Wir gehören kulturell, religiös und geographisch zu Asien!.
Die Europäer sollen doch unter sich bleiben und wir unter uns. Wir brauchen Europa nicht. Wir werden uns mit unseren brüderlichen Turk-Staaten vereinen.
Basta!

ESC1994
ESC1994
11 Monate zuvor
Reply to  Mikayil

Und Tschüss!!

PS: Albaner sind auch mehrheitlich keine Christen, aber das muss man ja nicht wissen. 😉

Manboy
Manboy
11 Monate zuvor
Reply to  Mikayil

Von den 10 größten Handelspartner (Exporte der Türkei) kommen 7 aus Europa, beim Import sind es 6 Länder. Also die Türkei ist sehr wohl auf Europa angewiesen. Und auch Europa profitiert vom wechselseitigen Handel. Und nicht ohne Grund will die Türkei seit Jahren in die EU und nicht ohne Grund lässt die EU die Türkei nicht rein.

disneyfan5000
disneyfan5000
11 Monate zuvor
Reply to  Mikayil

Was machste dann noch in Deutschland? Dann lebe doch einfach in der Türkei. Und du dem deutschen Staat womöglich nicht auf der Tasche legen. Aber wenn mal wie zuletzt eine Naturkatastrofe kommt wie das Erdbeben, dann ist man urplötzlich wieder Europäer und schreit nach Hilfe. Obwohl das Ausmaß der Schäden, hausgemacht ist.

Tim S.
Tim S.
11 Monate zuvor
Reply to  Mikayil

Bosnien-Herzegowina, Albanien und Kosovo sind alle mehrheitlich muslimische Länder. Europa ist kein rein christlicher Kontinent. Und wenn du die Türkei so sehr liebst, warum gehst du nicht wieder dorthin?

Matty
Matty
11 Monate zuvor

Off-Topic:

Backstage-Impressionen aus Liverpool:

lasse braun 🏴‍☠️
lasse braun 🏴‍☠️
11 Monate zuvor
Reply to  Matty

sehr schön – alle haben richtig spaß und der gewinner der herzen ist mittendrin.

Matty
Matty
11 Monate zuvor

Ich war doch gar nicht dabei!

lasse braun 🏴‍☠️
lasse braun 🏴‍☠️
11 Monate zuvor

manchmal liegen lasses und mattys humor gar nicht so weit auseinander. 🥳

Frédéric
Frédéric
11 Monate zuvor
Reply to  Matty

In seiner Umsetzung der eurovisionären Idee einfach bildschön und Pflichtprogramm für alle, die noch irgendeine Restverbitterung mit sich herumschleppen.

Ulrich
Ulrich
11 Monate zuvor
Reply to  Matty

Das ist nicht nur krachlustig sondern auch sehr bewegend. Das hätte ich vermutlich nie gefunden. Ein Backstage-Pass mjt Handkamera – das wünsche ich mir, wenn dann mal die Wunsch-Fee auftaucht.
Danke Matty. Es ist echt toll, dass Du uns solche Perlen bescherst.

Karin
Karin
11 Monate zuvor
Reply to  Matty

Och wie schön, alle haben sich lieb 37💜

Andi
Andi
11 Monate zuvor

Das Wochenende war für den Pott nicht sehr erfreulich. Beim Fußball lief es für Schalke und Dortmund mies. Immerhin haben die Türken auch im Ruhrgebiet einen Autokorso gemacht. Das erinnerte dann doch etwas an erfolgreichere Fußballzeiten im Ruhrgebiet 🙃

Timo1986
Timo1986
11 Monate zuvor

Auf den ersten Blick ist das Ergebnis dieser Wahl traurig und ernüchternd. Eine Pressefreiheit oder gar eine Rückkehr zum ESC scheint dauerhaft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen zu sein.

Bei einer detailierteren Betrachtungsweise aber gibt es zumindest für mich so etwas wie einen aufkeimenden Realismus und Optimismus, dass bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in fünf Jahren Erdogan als Staatspräsident abgewählt werden könnte.

Allerdings dürfen dann jene Fehler, welche die Opposition bei dieser Wahl gemacht hat, sich nicht mehr wiederholen. Die Opposition hat jetzt fünf Jahre Zeit das Wahlergebnis und die eigenen Fehler zu analysieren, um dann gegen Erdogan und seine gefolgstreuen Medien bei der nächsten Wahl am Ende als Sieger dazustehen.

Denn das Ergebnis für Erdogan ist kein „Runaway-Sieg“ mit haushohem Vorsprung, sondern kann als durchaus knapp bezeichnet werden.

Folgende Fehler dürfen daher auf keinen Fall wieder passieren:

Die Opposition trat weitestgehend geeint gegen Erdogan an. Ein Bündnis aus sechs Parteien hatte sich auf einen gemeinsamen Kandidat – nämlich Kemal Kilicdaroglu – geeinigt. Der in seinem menschlichen Wesen äußerst zurückhaltende und Intellektuelle Herausforderer ist Vorsitzender der größten türkischen Oppositionspartei, der sozialdemokratischen CHP. Neben der CHP und der nationalkonservativen Iyi-Partei gehörten vier weitere kleinere Parteien zum Sechser-Bündnis an. Darunter auch die Gelecek Partisi (Zukunftspartei) des ehemaligen Weggefährten Erdogans und Ex-Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu. Soweit so gut.

Kilicdaroglu, der Anführer des Sechser-Bündnisses, gilt als guter Vermittler mit dlomatischem Geschick – zugleich aber auch als schlechter Wahlkämpfer. Sowohl bündnisintern innerhalb dieses Sechserbündnisses als auch extern bezugnehmend seines Umgangs mit den Medien
sowie seinen Auftritten vor den Wählern (m/w/d) auf öffentlichen Marktplätzen oder in irgendwelchen Arenen.

Dieser Umstand hätte fast zum Bruch des Bündnisses geführt: Die Chefin der Iyi-Partei, Meral Aksener, kündigte zwischenzeitlich völlig überraschend die Zusammenarbeit auf.
Aksener hätte lieber andere CHP-Politiker, wie den beliebten Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu oder den Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavas, als Herausforderer von Erdogan gesehen. Nach der Ansicht von Meral Aksener hätten beide einen besseren Zugang zum Wahlvolk gehabt. Sowohl was die rhetorischen Fähigkeiten betrifft, aber auch hinsichtlich des Charismas und ihrer Ausstrahlung. Doch dann ruderte Aksender wieder zurück und die Sechser-Allianz einigte sich schließlich auf einen Kompromiss: Die beiden Bürgermeister sollen bei einem Wahlerfolg Vizepräsidenten werden.

Wenn derartige vermeidbare Fehler bei der nächsten türkischen Präsidentschaftswahl nicht nochmal vorkommen, dann könnte in fünf Jahren Erdogan vielleicht tatsächlich abgewählt werden, ein Demokratisierungsprozess eingeleitet werden und vielleicht mittel- bis längerfristig eine Rückkehr der Türkei zum ESC möglich sein.

Denn eines ist auch klar. Bei der nächsten Präsidentschaftswahl in fünf Jahren wird es Erdogan nicht mehr so einfach haben wie dieses Jahr. Die türkische Erdbebenregionen müssen neu aufgebaut werden und die türkische Lira wird sich nach meinem ökonomischen Verständnis nicht mehr erholen, so dass die türkische Wirtschaft weiter auf Talfahrt sein wird. Auch müssen die Flüchtlinge (m/w/d) aus Syrien, dem Irak und der Ukraine human koordiniert und versorgt werden.

Bei der nächsten Präsidentschaftswahl könnten die Wähler (m/w/d) in der Türkei sich nicht mehr so leicht mit rechtsnationalen „Haudrauf-Floskeln“ abspeisen lassen, sondern sie werden sich genauer überlegen wem sie ihre Stimme geben.

Bei der nächsten Präsidentschaftswahl muss sich die türkische Opposition auf einen Kandidaten (m/w/d) einigen, der die Leute emotional mitreißen kann. Wenn das gelingt, dann wäre in fünf Jahren eine Abwahl Erdogans möglich und irgendwann – wann auch immer das sein mag – eine Rückkehr der Türkei zum ESC nicht ausgeschlossen.

floppy1992
Mitglied
floppy1992
11 Monate zuvor
Reply to  Timo1986

Ich bin mir nicht so sicher, ob es in fünf Jahren noch eine Opposition gibt. Erdogan ist ja nicht blöd, der wird gemerkt haben, wie eng es diesmal war und jetzt entsprechend den Druck erhöhen.
Wenn es ganz schlimm läuft, wird die Türkei in den nächsten Jahren zu einer Art Iran light.

Andi
Andi
11 Monate zuvor
Reply to  floppy1992

Wenn es so kommen sollte wird es aber gewaltig Widerstand in der Bevölkerung geben. Erschreckend ist, dass in immer mehreren Länder die Meinungen sowas von gespalten sind. Da gibt es ein kaum noch miteinander reden. Negatives Beispiel sind hier die USA.

undeuxtrois
undeuxtrois
11 Monate zuvor

Das ist schon schade, die Türkei hatte über viele Jahre immer auch gute Beiträge, ja, Dinle zum Beispiel. Aber auch in den frühen Jahren meiner persönlichen ESC-Zeit waren mir die türkischen Beiträge immer etwas besonderes.
Hier auf dem Land hatten wir ja nicht so viele Berührungspunkte mit ethnischen Klängen.
Das war und ist für mich der Sinn der Eurovision, die ja nicht zwingend was mit EU zu tun hat.

Traurig, dass der türkische Präsident das nicht erkennt und stattdessen sein Volk autokratisch regiert. Wie man ihm seine Stimme geben kann, wenn man die freiheitlichen Stimmen hier gehört hat, kann ich nicht verstehen. Es sollte wohl alles so bleiben oder eher noch zementiert werden.
Mal schauen, ob das so bleibt.

Danke für den Beitrag, gerade dieser Mix macht es hier so lesenswert, wertes Bloggerteam. 🙂

togravus ceterum
Mitglied
11 Monate zuvor
Reply to  undeuxtrois

Dinle, Bana bana und Deli sind meine Lieblingsbeiträge aus der Türkei. 😍

lasse braun 🏴‍☠️
lasse braun 🏴‍☠️
11 Monate zuvor

OT
warum sich so über die türkei echauffieren (ist das denn unser bier?) wenn es bei uns bzw. in der EU lichterloh brennt z.b. das mehr als brisante geplante endverschlüsselungsverbot oder dieses in der öffentlichkeit dank unserer selbsternannten „qualitätsmedien“ kaum stattfindende thema mit ebenso hoher brisanz.
🍻
p.s. ich würde die türkei gerne wieder beim ESC begrüßen und zwar völlig unabhängig davon,wer da gerade das höchste amt ausübt.

Cali
Mitglied
Cali
11 Monate zuvor

Erst die Flaggendiskussion, jetzt die Türkeiwahl – seit wann werden wir hier denn so politisch? 😉
Habe auch lange überlegt, ob ich mich zum Verhalten unser St.-Pauli-Jungs äußern sollte oder nicht, aber ich habe es dann gelassen.
Schade für alle, die auf Besserung gehofft haben und die jetzt wohl nicht eintreten wird. Ansonsten haben es deutsche Medien gerne sehr einseitig dargestellt. Ob sich die Lage der Kurden oder der Demokratiezustand bessern würde, wenn die Opposition rankäme? Zweifelhaft. Und Erdogan hält immerhin noch die Migras zurück und bürgert sie zu guten Teilen ein, weil sie mehrheitlich ihn wählen. Absolut dämlich, aber gut für uns. Insofern wenig Mitleid.

Frédéric
Frédéric
11 Monate zuvor

Ein sehr guter Artikel, leider mit zum Teil unnötig platten Kommentaren aus der wird-man-jawohl-noch-sagen-dürfen-Ecke, aber mit den Greenroom-Impressionen auch einem echten Goldstück! Man achte auch auf die herzige Einbindung der beiden Azeris – Ich wäre guter Hoffnung, dass auch ein türkischer Act da sehr hineinharmonisieren würde, egal wie staatshörig er wäre.
Jedenfalls bin ich der Überzeugung (und hierbei wohl auch nicht allein), dass eine Rückkehr der Türkei der Überwindung von autoritärer Isolationspolitik mehr helfen als schaden würde. Dummerweise ist das auch der wesentliche Punkt, der trotz Entgegenkommens der EBU eher gegen ein Comeback spricht.

J. Freizeit
J. Freizeit
11 Monate zuvor

Gibt es eigentlich schon ein Datum für den Start eures ESC Kompakt Second Chance Contest dieses Jahr?

Karin
Karin
11 Monate zuvor
Reply to  J. Freizeit

Ja genau, gute Frage 🤗🎶💥👍👍👍

lasse braun 🏴‍☠️
lasse braun 🏴‍☠️
11 Monate zuvor
Reply to  Karin

die einzig wichtige frage aber ich über mich in geduld.🙃

Ulrich
Ulrich
11 Monate zuvor

Ich bin ehrlichgesagt viel heißer auf die Best of Sweden-Abstimmung(en). DAS wird ein Hochgenuss!!
Das wird es doch bitte bitte geben, oder?!

Thomas2000
Thomas2000
11 Monate zuvor

Das wirklich Schlimme an der Wahl ist ja das Verhalten der deutschen und österreichischen Türken, die den Erdogan mit so an die 70% gewählt haben.

Man muss sich das einmal vergegenwärtigen. Hier werden mit Freuden die Sozialleistungen eines Sozialstaats konsumiert, die Demokratie, die Meinungsfreiheit darf gelebt werden, und dann wählen diese Leute genau das Gegenteil für die Türkei. Was für ein Desaster und was für eine Schande.

thomaslunafrank
thomaslunafrank
11 Monate zuvor
Reply to  Thomas2000

@Thomas2000 : Da nur etwas mehr als 50% der Deutsch-Türken überhaupt zur Wahl gegangen sind, muss man die 70% in Relation setzen. Letztendlich haben dann 35% aller wahlberechtigten Erdogan gewählt, 65 % nicht !

Apropos Schande:
Bei neuesten Umfragen würden in Sachsen 32%, in Thüringen 30% die AfD wählen.

Man sollte erst mal auf sich selbst schauen, bevor man andere verurteilt.

Thomas O.
Thomas O.
11 Monate zuvor

In dem Strang fehlt ein dritter Thomas!
Das Wahlergebnis in Deutschland und Österreich ist schon bedenklich, egal wie man es dreht und wendet.
Desaster und Schande kann man dazu schon sagen, übrigens auch zu den Umfragewerten der AFD in Thüringen und Sachsen.

Die Türkei hätte ich trotzdem oder gerade deswegen gerne zurück zum ESC, aus Solidarität zur anderen Hälfte der Türken die einen Wandel in ihrem Land wollten

Schlippschlapp71
Schlippschlapp71
11 Monate zuvor

Wie mein geschätzter Parteichef Lars Klingbeil es absolut zutreffend formuliert: Die AfD ist eine Schande für Deutschland. !

lasse braun 🏴‍☠️
lasse braun 🏴‍☠️
11 Monate zuvor

@Schlippschlapp71

du huldigst dem seeheimergott?
der seeheimergott meint es aber nicht gut mit den deutschen interessen.😎

Gaby
Gaby
11 Monate zuvor

@Schlippschlapp71

AFD = ALPTRAUM für Deutschland.

disneyfan5000
disneyfan5000
11 Monate zuvor

Die Afd sieht sich ja gerne als patriotische Partei. Ist sie aber nicht, weil sie nicht mehr als geistige Vasallen von Putin sind. Vor ein paar Monaten war ein Parteimitglied in einer russischen Hetzsendung Gast und hat dort bei der Hetze gegen Deutschland kräftig mitgemacht. Das diese Arschlöcherpartei bundesweit bei 17% in den Umfragen liegt, ist wirklich eine Schande.

Lothar Bauer
11 Monate zuvor

Zugegeben die Türkei hat bis in die 90er Jahre hinein wenig Top 10 Plätze erreicht. Das änderte sich in den 2000er Jahren. Dank Televoting wurden viele gute Platzierungen errungen. Deutschland bekommt kaum Hilfe unserer Nachbarn. Beispiele für unterbewertete Beiträge:
Münchener Freiheit – Viel zu weit Platz 18 1993
Roger Cicero – Frau’n regieren die Welt Platz 19.
Die beiden mit anspruchsvollsten deutschen Beiträge der ESC Geschichte sind Top 5 .

Gaby
Gaby
11 Monate zuvor
Reply to  Lothar Bauer

Bei Roger Cicero stimme ich zu, er hätte mMn einen besseren Platz verdient gehabt. Es gab angeblich eine Backup-Jury falls es Probleme mit dem Televoting gegeben hätte. Es wurde gemunkelt, dass er dort auf dem 6. Platz gelandet wäre. Möglicherweise hätte Roger Cicero von den Juryvotings profitieren können, hätte es sie damals schon gegeben.
Die Münchner Freiheit blieb, meiner Meinung nach, singtechnisch weit unter ihren Möglichkeiten. Außerdem klangen die Stimmen etwas dünn, so kam es mir zumindest vor. Ob da etwas mit der Akustik nicht stimmte?

Gaby
Gaby
11 Monate zuvor
Reply to  Gaby

*songtechnisch.😉

thomaslunafrank
thomaslunafrank
11 Monate zuvor
Reply to  Gaby

@ Gaby:

Zu Roger Cicero. Ich habe auch diese Quelle gefunden:

„In „Inför ESC“ („Before ESC“) 2008, led by Christer Björkman, he said on that Germany in 2007 (Roger Cicero – Frauen regier’n die Welt), came 6th in the „back-up jury“, and that this was the reason for the jury return in 2008.“

Mit Jury in 2007 hätte es sicher einen Platz in der linken Tabellenhälfte für RC gegeben. Hätte er verdient gehabt.

Gaby
Gaby
11 Monate zuvor
Reply to  Gaby

@thomaslunafrank

Danke für die Info, war ich gar nicht mal so verkehrt… wusste nicht mehr ganz genau, wie es sich verhielt.

Lothar Bauer
11 Monate zuvor
Reply to  Gaby

Nun kenne ich Münchener Freiheit seit 1980, habe viele Scheiben von ihnen auf LP, Kassette, CD, auch „aktuellere“ aus den 2000er Jahren. Ich habe die Band 2 mal live gesehen und Stefan Zauner, der Sänger, hat eine ruhige, melodische Stimme, aber nicht dünn. Beim ESC 1993 wurde der Gesang im Vergleich zum Orchester/Band möglicherweise weniger prägnant herausgemischt.
Viel zu weit ist weniger „schwülstig“ als z.B. Solange man Träume noch leben kann. Es ist für mich einfach ein schönes Stück synfonischer (Pop)Rock auf deutsch gesungen im Stile vom Electric Light Orchestra (E.L.O)

Gaby
Gaby
11 Monate zuvor
Reply to  Gaby

@Lothar Bauer

Hatte auch den Eindruck, dass der Song irgendwie schlecht abgemischt. Das Orchester viel zu laut im Vergleich zum Gesang…

Lothar Bauer
11 Monate zuvor
Reply to  Gaby

Jetzt noch ein völlig unterbewerteter Beitrag, diesmal aus Frankreich beim ESC 2013 in Schweden.
https://youtu.be/hQwiQj5Dyj8
Ein famoses Stück souliger Bluesrock mit einer Wahnsinnsstimme. Das ist für mich Top 3, wenn nicht der Siegertitel des ESC 2013 gewesen wäre. Es wurde 23. Mit lausigen 14 Punkten. Völlig verkannt beim ESC Publikum. Sind anscheinend wenige Bluesfans darunter. Schade

togravus ceterum
Mitglied
11 Monate zuvor
Reply to  Lothar Bauer

Frankreich ist 2013 auch auf dem ersten Platz meiner Liste.

Schlippschlapp71 (Ex-Mariposa)
Schlippschlapp71 (Ex-Mariposa)
11 Monate zuvor

Ich mag das auch….Wenn man sich die damaligen Top 5 so ansieht, außer Norwegen war da nichts für mich dabei.

disneyfan5000
disneyfan5000
10 Monate zuvor

Nehmen wir mal kurz an, die Opposition hätte die Wahl in der Türkei gewonnen. Wäre es dann zu 100% sicher gewesen, das die Türkei zum ESC zurückkehrt?

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