
Die internationalen Jurys, die bei der deutschen Vorentscheidung für den Eurovision Song Contest 2023 in Liverpool die Hälfte der Punkte vergeben, kommen aus aus der Schweiz, den Niederlanden, Finnland, Spanien, Litauen, der Ukraine, Österreich und Großbritannien. Während diese Info eindeutig ist, wirft die genaue Berechnung der verschiedenen Zuschauervoting-Möglichkeiten weiter Fragen auf.
Am Mittwochnachmittag veröffentlichte die ARD bzw. der NDR auf seiner offiziellen Eurovisions-Website Infos zur deutschen Vorentscheidung „Unser Lied für Liverpool“. Die größte Neuigkeit war dabei die Bekanntmachung der acht Länder, aus denen die Jurys kommen werden. Neben den beiden (weitgehend) deutschsprachigen Ländern Österreich und der Schweiz sind auch die beiden Gastgeber Großbritannien und die Ukraine dabei. Die weiteren vier Jurys kommen aus Westeuropa (Niederlande), Skandinavien (naja, eigentlich gehört Finnland nicht wirklich dazu), dem Baltikum (Litauen) und Südwesteuropa (Spanien). Insgesamt wirkt der mittel- und süd/ost-europäische Raum dabei etwas unterrepräsentiert.
In jedem dieser acht Länder sollen „fünf Personen aus dem Musik- und Show-Business“ ihr Urteil fällen. „In der Show vergeben die jeweiligen Jury-Sprecherinnen und -Sprecher dieser Länder die Punktzahlen 1, 2, 3, 4, 5, 6, 8, 10 und 12.“ Zusammen stehen sie für 50% der Punkte. Konkret vergeben sie also jeweils 51 Punkte und zusammen dann 408.
Die anderen 408 kommen vom deutschen Publikum. Hierzu heißt es auf Eurovision.de:
Die anderen 50 Prozent der Punkte kommen vom deutschen Publikum und setzen sich zusammen aus Votings während der Show per Anruf und SMS und dem Online-Voting. Die gleiche Anzahl an Punkten, die von den internationalen Jurys verteilt wurden, werden im prozentualen Verhältnis des deutschen Televotings auf die neun Songs verteilt.
Diese Aussage ist nicht wirklich eindeutig. Denn zum einen heißt es, dass das deutsche Publikum während der Show per Anruf und SMS abstimmen kann. Daneben gibt es das Online-Voting, das ja bereits vorher freigeschaltet wird. Im zweiten Satz heißt es aber, dass die Publikumspunkte „im prozentualen Verhältnis des deutschen Televotings“ verteilt werden.
Der Begriff Televoting ist nicht exakt definiert. Nach dem Sprachgebrauch und dem allgemeinen Verständnis (auch von Wikipedia) bezieht sich der Begriff auf ein Abstimmungsverfahren per Anruf oder SMS typischerweise während eines Events bzw. einer Fernsehsendung. Grundsätzlich kann man den Begriff aber auch weiter fassen und online-basierte Abstimmungswege (z.B. per Eurovision-App) ebenfalls berücksichtigen.
Vermutlich soll der Begriff Televoting in diesem Fall auch das Online-Voting mit beinhalten. Dann ist noch aber nicht geklärt, ob jede Stimme (Online, Telefonanruf und SMS) gleich viel zählt. Das könnte man aus verschiedenen Gründen hinterfragen. Am offensichtlichsten ist der Unterschied, dass für Telefonanrufe und SMS Gebühren fällig werden, beim Online-Voting wird das vermutlich nicht der Fall sein. Außerdem basiert das Online-Voting nicht auf der Live-Performance der Beiträge, sondern auf den Liedern bzw. Videos davon.
Persönlicher Kommentar des Autors
Sollten die online abgegebenen Stimmen gleichwertig mit den Telefon- und SMS-Stimmen verrechnet werden, könnte das Ergebnis erheblich durch das Online-Voting verzerrt werden. Bereits beim TikTok-Voting wurden 121.000 Stimmen abgegeben, etwas mehr als die Hälfte davon entfiel auf Ikke Hüftgold. Dabei lief weder die PR für die Show auf Hochtouren, noch die von einzelnen Künstler/innen.
Ein Vergleich: Bei der deutschen Vorentscheidung „Unser Lied für Israel“ 2019, die um 20:15 Uhr ausgestrahlt wurde, wurden insgesamt 374.313 Stimmen abgegeben (255.837 Anrufe, 118.476 SMS) – also nur dreimal mehr als beim TikTok-Voting. Der diesjährige Vorentscheid startet um 22:20 Uhr und dürfte daher weniger Zuschauer/innen haben als die Show 2019. Eigentlich müssten dann auch weniger Telefon- und SMS-Stimmen abgegeben werden als 2019. Schaffen es einzelne Acts bereits im Vorfeld beim Online-Voting ihre Fans zu aktivieren, kann deren Stimmenmenge leicht die Anzahl der Anrufe und SMS während der Show übersteigen – all das nicht auf Basis der Auftritte in der Show.
Gerade aufgrund der fehlenden Erfahrungen mit diesem neuen Verfahren und den schlechten Erfahrungen mit ESC-Online-Votings in den vergangenen Jahren generell wäre der NDR gut beraten, das Stimmengewicht des Online-Votings klar zu reduzieren bzw. in einem vorher festzulegenden Verhältnis herunterzugewichten (zum Beispiel 10 Online-Stimmen = 1 Telefonstimme). Das wäre nicht nur fair gegenüber den Acts mit weniger Fan-Power, sondern auch gegenüber denen, die für ihre Stimmabgabe über Telefon und SMS Geld bezahlen. Ob und wie eine solche Gewichtung der Stimmen Einfluss auf das Endergebnis hat, wissen wir in jedem Fall aber erst hinterher.

Für mich kann nur Ikke der Sieger des Vorentscheids in Deutschland sein. Nur dieser Titel entspricht dem offensichtlich so schlechten Musikgeschmack der Deutschen. Wohl einmalig in Europa, wenn nicht sogar in der Welt. Mit Ikke ist dieses Jahr die Krönung gelungen: Name und Musik passen schon zusammen und das etwas „schmuddelige“ Auftreten ergänzen sich ideal.
Vielleicht bekommen wir aus Spanien sogar ein paar Punkte und zwar in Vorfreude auf die demnächst wieder einfallenden Deutschen Urlauber, die ihnen zu dieser Musik dann wieder die Promenaden „vollgöbeln“.