Einige meiner Co-Blogger haben in diesem wunderbar romantischen Adventskalender ja schon über ihr „erstes Mal“ (mit ESC-Bezug) berichtet und gemäß dem Leitspruch „Die Erinnerung ist das Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann“ möchte ich mich in diesen Retro-Zyklus einreihen. Und mein erstes Adventskalender-Türchen soll sich – und das ist jetzt keine Überraschung – mit ABBA befassen.
Was Benny über seine leidenschaftliche Zeit als BRAVO-Leser schreibt, das gilt auch für mich – allerdings hat sich die BRAVO Lektüre bei mir evolutionsbedingt etwa 20 Jahre früher abgespielt, also 78 statt 98.
In den Jahren 74-79 war ich wöchentlicher Leser der BRAVO – wie Millionen andere Jugendliche, was man sich heute kaum noch vorstellen kann. Europas führendes Teenager-Magazin hatte damals eine satte siebenstellige Auflage – und das jede Woche. Und jedes Exemplar wanderte durch viele, viele Hände, noch Wochen nach dem Erscheinen. Die „Macht“ von BRAVO in der Entertainment-Branche war gigantisch, entsprechend hofierten Stars und Künstler die BRAVO – auch ABBA übrigens.
BRAVO galt in den 70ern als „verrucht“ und war bei uns daheim verpönt, meine Eltern hatten uns die Lektüre untersagt, aber ich bin dennoch jeden Donnerstag zum Kiosk (am Busbahnhof Dorsten) gelaufen, um die BRAVO zu kaufen (gleich morgens vor der Schule) und habe sie heimlich gelesen.
Das BRAVO-Verbot einmal nach außen vor gelassen, haben mir meine Eltern in jedweder anderen Hinsicht den Weg zu ABBA geebnet und das schon seit 1974, als ABBAs ESC Erfolg mit „Waterloo“ in Brighton auch meine erste Berührung mit dem Song Contest war. Etwa ein Jahr später bekam ich meinen ersten Plattenspieler geschenkt – und mein erstes ABBA Album „The Best Of ABBA“ (eine Compilation der beiden ersten ABBA-Studioalben) gleich dazu. Das waren die frühen Jahre, den legendären ABBA-Schriftzug mit dem gedrehten „B“ gab es damals noch gar nicht.
Mit „Waterloo“ und dem Vinyl-Plattenspieler plus LP war das Fundament gelegt für eine lebenslange Freundschaft zwischen ABBA und mir. Wie oft habe ich „The Best of ABBA“ gehört? Bestimmt tausendmal, wir hatten ja sehr lange nur die eine LP mit Musik drauf (ansonsten Sergei Prokofjews „Peter und der Wolf“ und „Winnetou“-Erzählplatten und sowas).
Ich verbinde mit ABBA in ihrer aktiven Zeit superviele und superstarke Erinnerungen (ich bin siebenmal in der Schauburg in Gelsenkirchen in „ABBA – The Movie“ gewesen), aber die schönste davon haben wiederum meine Eltern ermöglicht.
Ein Freund, der meine Leidenschaft für ABBA (und BRAVO) teilte, und ich ergatterten zwei Tickets für das Konzert von ABBA in der Dortmunder Westfalenhalle am 25. Oktober 1979. Nachdem diese Tickethürde genommen war, kam aber die zweite auf uns zu. Wir sollten wir aus einem Kaff in der Peripherie des Ruhrgebiets nach Dortmund kommen und wie vor allem wieder zurück – altersbedingt (noch) ohne Führerschein?!? Der Hinweg wäre mit Bus und Bahn sicher irgendwie möglich gewesen, aber zurück hätte zu fortgeschrittener Stunde nix funktioniert.
Wieder hatten meine großartigen Eltern ein großes Herz. Sie brachten uns beide mit dem Auto nach Dortmund bis vor die Halle, suchten sich einen netten Italiener zum Überbrücken der Konzertzeit und holten uns nach dem Konzert wieder ab! Ich weiß das alles noch wie heute. Und das war noch nicht alles. Mein Vater drückte jedem von uns beiden 20,– DM in die Hände – für die damaligen Verhältnisse und die Kaufkraft ein GIGANTISCHER Betrag. (Wie oben zu sehen ist, kostete die BRAVO 1979 1,30 DM.)
Wir leisteten uns damals von den 20,– DM u.a. dieses edle „Souvenir Programme“, welches ich heute noch besitze, was (aus heutiger Sicht) leider nicht für den Großteil des weiteren ABBA-Merchandising-Bergs gilt, den ich in den 70ern angehäuft hatte. So war ich im Euroclub in Kiew richtig neidisch und emotional aufgewühlt, als ich einen ABBA-Fan mit einem T-Shirt aus der Zeit photographierte:
Das o.g. „Souvenir Programme“ aber besitze ich noch und es ist ein Quell der Freude.
Aus dem Programm geht nicht nur hervor, dass ABBA in 1979 aus der ESC-Stadt Rotterdam nach Dortmund gereist sind und einen Tag später in die ESC-Stadt München weitergefahren sind, es finden sich darin auch zahlreiche Fotos zum Dahinschmelzen, wie dieses, wo man Agnetha mit Perlenkette und im chicen weißen Cocktailkleid eine Gartenschere in die Hand gedrückt hat:
Was sich der Fotograf bei dieser Inszenierung auch immer gedacht hat, verliert sich in den Nebeln von Norwegen, aber ich mag sagen: Auch für solche Agnetha-mit-der-Gartenschere-Impressionen liebe ich die 70er.
Vom Dortmunder Konzert selbst habe ich keine Bilder (wir konnten uns einen Fotoapparat damals noch gar nicht leisten), aber es gibt ja inzwischen auf YouTube & Co. viele Videos von ABBAs 79er-Konzert in London, das ein Konzerthöhepunkt der gleichen Tour war.
Was soll ich zum Konzert schreiben, ohne in Superlative zu verfallen? Es ist und bleibt das schönste Konzert meines Lebens – nicht allein wegen der objektiven musikalischen Einzigartigkeit, sondern auch aufgrund der vielen subjektiven Erinnerungen, von denen ich einige hier geschildert habe.
Es war eine andere Zeit. Wie man auf dem Ticket oben lesen kann, war die Halle (selbstverständlich in den 70ern) bestuhlt. Erst zu den Zugaben trauten wir uns, bis zur Bühnenabsperrung vor der ersten Reihe zu stürmen. Die vier ABBAs kamen ganz nach vorne an den Bühnenrand und klatschten die Hände ab, die wir ihnen entgegenstreckten. Ein Ordner versuchte uns (die überschaubare Anzahl an Fans, die es gewagt hatten, ihre Plätze zu verlassen und an den Bühnenrand zu rennen) wegzudrängen, da trat Frida ihm mit ihren High Heels in den Rücken und rief ihm „Stop that!“ zu. Das vergesse ich nie und ich bekomme Gänsehaut, wenn ich das aufschreibe.
Einer der letzten Songs dieser Tour war übrigens „Why Did It Have To Be Me?“ und Frida trug dann immer ein Trikot eines örtlichen Sport/Fußball-Vereins, in diesem Falle also das schwarz-gelbe BVB-Trikot. Leider habe ich kein Fotodokument mehr davon gefunden – trotz intensiver Recherche. In der Regional-/Lokalpresse war das 1979 ein Aufmacher.
Ich habe in den ABBA-Jahrzehnten viele Bilder gemacht mit ABBA-Bezug (hier beim Besuch des ABBA-Museums in Stockholm), aber leider leider leider nicht bei diesem Konzertbesuch. Da dies aber ein sehr persönliches ABBA-Stück ist, habe ich nach Bildern von mir aus dieser Zeit gesucht und zwei gefunden, eins aus 1979 und eins ein, zwei Jahre später.
Diese Aufnahme entstand wenige Wochen nach dem ABBA live Lebens-Highlight in Dortmund zu Weihnachten (s/w war oft Standard, weil Farbfotos beim Entwickeln viel teurer waren). Und meinem Blick ist anzusehen, dass ich Wochen später immer noch geflasht bin, dass ich die Hände von Agnetha und Anni-Frid berühren durfte.
Und dieses Bild ist auf einer Interrail-Tour ein oder zwei Jahre später entstanden, die ich mit eben jenem ABBA-Freund unternommen habe, mit dem ich auch das Konzert in Dortmund besucht hatte. Und das Foto ist auch sehr repräsentativ für die ABBA-Aktivzeit, weil wir auf dieser Europatour Menschen besucht haben, mit denen wir eine ABBA-Fan-Brieffreundschaft pflegten. Der handschriftliche Briefaustausch mit ABBA-Fans in anderen Ländern war sozusagen ein sehr frühes Insta-Vorgänger-Modell. Deshalb haben mich auch so sehr die handschriftlichen Fundstücke aus dieser Zeit im ABBA-Museum in Stockholm euphorisiert (Fotos unten). Es gab halt als WhatsApp-Substitut nur Kugelschreiber und Briefmarken vor (mehr als) 40 Jahren. Aber wir hatten ABBA und hatten sie live!
More (ABBA) to come. Alles über die festliche ABBA Christmas-Single „Little Things“ steht hier.
Bislang in unserem Adventskalender erschienen:
(1) Mein „erstes Mal“
(2) Die BRAVO und ein Kindheitstrauma
(3) Der ESC 2000 in Stockholm
(4) Ein Hoch auf Moya Doherty
(5) Null Punkte und das Comeback von Ann Sophie
2020: Advent der besten DACH-ESC-Beiträge
2019: Advent der besten ESC–Momente
Es ist schon verrückt, wie stark ABBA die späten 1970er und frühen 1980er geprägt haben. Die ABBA-Musik ist tatsächlich der Soundtrack jener Zeit.
Immer wenn ich „Dorsten“ lese, muss ich an die Bimmelbahn von Essen nach Borken denken, die dort geteilt wird … 😀
Vielen Dank für das Teilen der Erinnerungen, lieber Peter! 1 1/2 Jahre später sah ich in derselben Halle The wall von Pink Floyd. Ebenfalls unvergesslich!
Wirklich süß 😊
1979 – da bin ich gerade in die Schule gekommen.
Welch eine schöne Geschichte, vielen Dank dafür.🙂
Da nehm ich doch grad meine alten BRAVO’S wieder mal aus der versenkung und les ein bisschen dr.sommer))
Kann das alles gut nachvollziehen, ähnlich ging es mir ein paar Jahre später mit den Rolling Stones, ohne verständnisvolle Eltern, konnte sie erst mit zwanzig zum ersten Mal live sehen
Danke fürs Teilen! <3
Danke für diesen Bericht. War damals im Team Beatles. Als Teenie in Identitätsfindungsphase zu dumm nachzuvollziehen, was Vielfalt ausmacht und warum ABBA so viele einfach berühren mussten.
moin!
1979 war lasse noch im kinderheim (evangelisch,obwohl ich rk bin) – ganz volljährig war ich da auch noch nicht.
die mädels liebten fast alle abba (und smokie und bay city rollers jeweils zu deren hochzeit!) und wir jungs waren dann doch eher bei pink floyd,alan parsons und mike oldfield wenn es hart auf hart ging.
die bravo bekam ich damals immer relativ spät – erst haben die mädels gelesen und dann irgendwann auch die jungs(zumindest wer das wollte – nicht jeder wollte!) – funfakt: bei dr. sommer fehlten damals schon,wenn mich meine erinnerung nicht trügt,teile der seite – meistens das mädel? oder eher doch texte mit erklärungen zu fragen? 😇
der starschnitt und poster fehlten natürlich auch – kurz um,bekam immer nur die reste vom schützenfest.🤣
aber verboten war die bravo bei uns nicht – die war koscher – postillen wie freitag,feigenblatt,sexy usw. waren da natürlich schon was anderes.
zu abba:
soweit weg von dortmund war ich 1979 nicht – hatte immer sehnsucht z.b. auch für die großen oben genannten acts oder etwas später dann die frühen U2,depeche mode ect.
hat aber nie gereicht – müßte mich mit grobschnitt(yeah,solar fire 30 minuten + der gitarrist wollte gar nicht mehr aufhören),jane,eloy,epitaph,novalis ect. in kleineren hallen der umliegenden provinz zufrieden geben – dafür lag der tarif aber auch bei schmalen 12-18 märker – die 32 DM waren damals recht viel geld aber zumindest 2 mädels aus dem kinderheim waren auf einem abbakonzert(weiß heute nicht mehr ganz genau,welches jahr das war aber es war entweder in dortmund oder essen grugahalle.)
die mädels (beide um 15 herum) haben uns natürlich vom konzert erzählt und wir jungens waren schon etwas neidisch,wollten es aber nicht zugeben.
das die bravo in bestimmten kreisen der 70ger verpönt war,lese ich hier zum ersten mal aber wer mit prüden eltern „gesegnet“ war,hatte vielleicht noch ganz andere probleme – mein alter hat mich windelweich geschlagen wenn er mich (echter linkshänder!) beim schreiben mit links (grundschulzeit) erwischt hat – war halt eine andere zeit – allerdings sehe ich als bürgerfreiheitlich-liberaler anno 2021 wieder einen rollback…nicht zur prügelstrafe aber zur prüderie.
blogger peter sieht auf den fotos für mich schon etwas älter aus – so 18-21? aber laut bericht noch keinen führerschein = noch junter 18 oder keine kohle?
also lasse hatte frisch mit 18 keine kohle einen führerschein zu machen.
die kohle wuchs damals bei den meisten meiner zeitgenossen nicht auf bäumen!
da wußte man noch 20,50 oder gar 100 deutsche mark wirklich zu schätzen.
so eine abba eintrittkarte hat sicher sammlerwert?
bei mir hat es nur zu einer handsignierten eintrittskarte von winnetou pierre brice so ca. 1977/8 in elspe gereicht – wir sind damals zu dritt oder so hinter die kulissen geschlichen und trafen eher zufällig auf pierre brice,noch in voller montur – den schwarzen faserstift hatte der immer parat – der kannte das sicher.
die karte ist schon 1987 verlustig gegangen aber die erinnerung bleibt. 🙃
abba kannte ich damals vom ESC-sieg aber so wirklich wahrgenommen habe ich sie erst beim erscheinen von S.O.S. 1975.
WDR 2 – mal sondocks hitparade – da haben wir immer mittwochs abends mit kassettenrekorder gelauert und das reingelaber halt ertragen,weil eine single immerhin noch 5 später 6 DM gekostet hat und ein schallplattenspieler hatte längst nicht jeder.
in meiner umgebung warste der absolute könig wenn du einen damals einen noch neu am markt befindlichen radiorekorder dein eigen nennen konntest – z.b. von grundig – der konnte direkt von radio auf kassette kopieren – da hattest du plötzlich viele neue freunde auch weiblich. 🙃
p.s. wenn man so will,ist mir hier im esc-kompakt erst der erste männliche „die hard“ abba fan über’n weg gelaufen.
nach meiner erinnerung war abba in den 70iger primär ein mädchending aber fest behaupten will ich das jetzt auch nicht,weil ich nur für mein damaliges umfeld sprechen kann.
Wie ich euch „Westler“ um diese Möglichkeit der ABBA-Konzerte 1979 beneide. Ich saß hinter dem eisernen Vorhang und konnte von Frida nur träumen.
Hallo Peter,
wie schön, den Beitrag von dir zu lesen! Ich musste echt lachen, als ich deine Bilder gesehen habe, denn in meiner Sammlung befinden sich
a) die ‚Best of ABBA‘-LP
b) meine Eintrittskarte für das Dortmund-Konzert
c) das Tour-Magazin
UND
d) ein Foto von Frida im BVB-Trikot!!
Ich suche mal danach und kann dir bestimmt einen Abzug davon machen lassen (…wenn so etwas heutzutage noch geht…)
Viele Grüße
Hartwig