ESC-Songcheck kompakt 2023 (20) – Griechenland: „What They Say“ von Victor Vernicos

Bild: Nikos Zikos

Viel Lärm um nichts? Dass auch der Prozess einer internen Auswahl für Gesprächsstoff und Aufregung sorgen kann, bewiesen in diesem Jahr die Verantwortlichen des ausführenden Senders Griechenlands ERT. In einem mehrstufigen Auswahlprozess bewertete anfangs eine 7-köpfige Jury die eingesandten (über hundert) Beiträge. Anschließend wurden die bestbewerteten sieben Beiträge auch einem Zuschauerpanel vorgelegt. Schlussendlich wurde aus einer 3er-Shortlist der Titel „What They Say“ des Musikers Victor Vernicos als Beitrag Griechenlands für den diesjährigen Eurovision Song Contest bekanntgegeben – zum Missfallen der Zweitplatzierten Melissa Mantzoukis (Drittplatzierte bei DSDS 2022). Laut einer Stellungname des Teams um Melissa Mantzoukis sei besonders das sehr unterschiedliche Voting zwischen Jury und Zuschauerpanel auffällig, auch der künstlerseitige Rückzug des dritten Beitrags im laufenden Auswahlverfahren sorgte für Irritationen.

ERT verzichtete auf eine Stellungnahme und blieb standhaft – und so wird Victor Vernicos die griechische Fahne in Liverpool hochhalten. Der erst sechszehnjährige Musiker hat griechisch-dänische Wurzeln, sein Vater Lars Jules Jørgensen kommt aus Dänemark, seine Mutter ist Griechin. Victor ist der jüngste Künstler, der Griechenland jemals beim Eurovision Song Contest vertreten hat. Er wurde 2006, in dem Jahr, in dem der ESC auch in Griechenland ausgetragen wurde, in Athen geboren. Bereits im Alter von vier Jahren bekam Vernicos Klavierunterricht, später folgten auch Unterricht in Gesang und Gitarre. Mit elf Jahren schrieb er seine ersten eigenen Lieder, die er seit zwei Jahren auch selbst produziert.

Das Lied

Musik und Text von „What They Say“ stammen komplett aus Victors eigener Feder. Das Lied entpuppt sich als spannungsgeladener Singer/Songwriter-Uptemposong. Anfangs dominieren noch die E-Gitarre und Victors ausdrucksstarke Stimme. In der Bridge zum Refrain bereiten einsetzende Pianoklänge den Einsatz eines treibenden Beats vor, der auch in der folgenden zweiten Strophe den emotionalen Popsong weiter vorantreibt. Die Bridge zum zweite Refrain beginnt dann allerdings wieder ruhiger. Im Hintergrund hören wir plötzlich elektronischere Klänge und gezupfte Gitarren, bis der stampfende Rhythmus erneut einsetzt und in den dritten und letzten Teil einleitet. Hier hören wir Trommeln, einen Backgroundchor, klatschende Hände – wobei der Rhythmus sehr viel ruhiger wird.

Der Text von „What They Say“ kann im besten Sinne als melancholisch, in einzelnen Momenten fast schon philosophisch beschrieben werden und zeichnet eine Reise durch Victors Gefühlswelt, seine Angst, aber auch seinen Optimismus. Inspiriert hat Victor dabei eine Angsterfahrung, die er mit 13 Jahren in den Ferien bei seiner Großmutter in Dänemark erlebte. Ein Moment des sich selbst und der eigenen musikalischen Möglichkeiten bewusst Werdens, der Victor kurzzeitig in Angst versetzte. Mit diesem Moment beginnt auch sein Lied, wie er panisch auf dem Boden liegt und seinen Gedanken freien Lauf lässt. Dabei wechseln sich im Laufe des Liedes immer wieder ängstliche, entmutigende Gedanken mit optimistischen ab: „Lost souls make sure no one loses their way. Hurt ones can’t stand seeing others in pain. I am bold, now I got too much on my plate. I save all the others, cause for me it’s too late.“ (Verlorene Seelen sorgen dafür, dass sich niemand verirrt. Verletzte können es nicht ertragen, andere leiden zu sehen. Ich bin mutig, habe noch zu viel vor mir. Ich werde alle anderen retten, doch für mich ist es zu spät.)

Der Check

Song: 3,5/5 Punkten
Stimme: 4/5 Punkten
Darbietung: 3/5 Punkten (auf Basis des Videos)
Instant Appeal: 3/5 Punkten

Benny: Ein starker Indie-Pop-Song geschrieben und gesungen von einem 16-jährigen Songwriter mit Hammerstimme. „What They Say“ könnte so oder so ähnlich auch von international erfolgreichen Sängern wie Ed Sheeran oder BANNERS stammen. Das würde ich mir definitiv auch außerhalb des ESC-Kontexts anhören. 10 Punkte.

Berenike: An sich ist „What They Say” eine schöne Singer-Songwriter-Ballade. Sie müsste nur von jemandem anderen präsentiert werden… Michael Schulte mit dem Song wäre top gewesen. Aber den Track singt nun einmal der junge Victor und der scheint meinem Eindruck nach noch nicht reif genug dafür zu sein. Sein nuscheliges Englisch klingt in meinen Ohren sehr unangenehm und er bewegt sich schon im Video extrem ungelenk. Wenn er das in einer sicheren Umgebung schon nicht hinbekommt, wie soll das auf der großen Bühne vor Millionen von Zuschauern funktionieren? 3 Punkte.

Douze Points: Erst einmal: Respekt, ERT, dafür, dass Ihr Euch mit diesem Beitrag trotz allem griechischen Drama durchgesetzt habt. Das Lied ist individuell, frisch und authentisch. Und Victor hat eine großartige Stimme. All das kann ich rational anerkennen. Dennoch holt mich „What They Say“ nie so richtig ab. Das ist für mich ein Zuseh-Song. Insofern hoffe ich auf eine hervorragende Inszenierung und gebe 6 Punkte.

Flo: Mit dem Song ruft Victor Vernicos bei mir leichte Erinnerungen an seinen Namenskollegen aus Estland hervor. Seine Stimme hat Wiedererkennungswert und kommt in der Strophe gut zur Geltung. Der Übergang zum Refrain ist technisch einwandfrei, der Refrain hätte musikalisch vielleicht etwas spannender arrangiert werden können. Rein kompositorisch ist „What They Say“ aber gut gemacht und mal ein ganz anderer Sound aus Griechenland. 7 Punkte.

Manu: Bei dem ganzen Wirbel um die interne Auswahl von Victor Vernicos gerät selbiger leider unverdient etwas ins Abseits. Dabei besitzt der junge Sänger durchaus eine besonders in den Tiefen ungewöhnliche Stimme. „What They Say“ atmet den musikalischen Geist von Ed Sheeran und verzichtet dabei komplett auf ethnische Sounds und Rhythmik. Stattdessen setzt das selbstgeschriebene Lied auf natürliche Instrumente, einen treibenden Beat und tiefe Gefühle in den Lyrics. Je mehr ich mich mit dem Lied beschäftige und es höre, desto mehr entdecke ich die raue Kraft, die in diesem kleinen Popsong steckt. Lediglich in den letzten 30 Sekunden fällt „What They Say“ für mich musikalisch leider in sich zusammen. Trotzdem bleiben für mich noch 8 Punkte übrig – mit Tendenz weiter nach oben.

Max: Kein schlechter Beitrag. Ich sagte jedoch schon in einem ESC kompakt LIVE, dass Griechenland in den vergangenen Jahren etwas die griechische Essenz verloren hat. Klar müssen da nicht immer Sirtaki und Co. ran, aber ich vermisse den gewissen Flair einfach. „What They Say“ könnte tatsächlich für fast jedes Land beim ESC mitmachen. An sich mag ich das Lied jedoch, auch wenn etwas mehr Pepp der Nummer gut getan hätte, aber nun gut. 5 Punkte.

Peter: „What They Say“ habe ich kurz nach der Veröffentlichung viel gehört (habe darüber gebloggt) und fand den Song sehr ok, aber nicht mehr. Und ich dachte, dass ich mir diesen Midtempo-Track, der defensiv beginnt, schön hören werde – aber das ist nicht passiert. Victor ist erst 16, auch aus diesem „Welpenschutz“-Aspekt wünsche ich mir für ihn und mit ihm den Finaleinzug, aber mehr als „sehr ok“ finde ich das etwas bemüht wirkende Gesamtpaket nicht. Und es regnet zu viel im offiziellen Video und das Sperrmüllsofa mit der Hydrokultur ist auch kein wirklich origineller Einfall. 6 Punkte.

Rick: Da ich eine Schnarchballade erwartet habe, war ich total froh über den tatsächlichen Sound von „What They Say“. Die Nummer hat dann ja doch einen gewissen Drive durch den Beat im Refrain. Finde auch, dass Victor sehr international klingt und zum Beispiel an Singer-Songwriter wie Dermot Kennedy erinnert. Trotz alle dem fehlt mir in der Studio-Version das Besondere. Da ERT aber unbedingt Victor zum ESC schicken wollte, gehe ich von einer interessanten Inszenierung aus, die den Beitrag aufwertet. Vorerst 6 Punkte von mir.

Gesamtpunktzahl: 51/96 Punkte.

Beim ESC kompakt-Index landet „What They Say“ auf Platz 35 von 37.

Wie schneidet der griechische Beitrag "What They Say" von Victor Vernicos ab?

  • bleibt im Halbfinale hängen (45%, 188 Votes)
  • Platz 16-20 (24%, 99 Votes)
  • Platz 21-26 (21%, 86 Votes)
  • Platz 11-15 (7%, 27 Votes)
  • Platz 6-10 (2%, 8 Votes)
  • Top 5 (2%, 7 Votes)

Total Voters: 415

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Bisher erschienene Songchecks:

Erstes Halbfinale

(1) Irland: „We Are One“ von Wild Youth
(2) Kroatien: „Mama ŠČ!“ von Let 3
(3) Lettland: „Aijā“ von Sudden Light
(4) Malta: „Dance (Our Own Party)“ von The Busker
(5) Norwegen: „Queen Of Kings“ von Alessandra
(6) Portugal: „Ai Coração“ von Mimicat
(7) Serbien: „Samo Mi Se Spava“ von Luke Black
(8) Aserbaidschan: „Tell Me More“ von TuralTuranX
(9) Finnland: „Cha Cha Cha“ von Käärijä
(10) Israel: „Unicorn“ von Noa Kirel
(11) Moldau: „Soarele şi Luna“ von Pasha Parfeni
(12) Niederlande: „Burning Daylight“ von Mia Nicolai & Dion Cooper
(13) Schweden: „Tattoo“ von Loreen
(14) Schweiz: „Watergun“ von Remo Forrer
(15) Tschechien: „My Sister’s Crown“ von Vesna

Zweites Halbfinale

(16) Armenien: „Future Lover“ von Brunette
(17) Belgien: „Because Of You“ von Gustaph
(18) Dänemark: „Breaking My Heart“ von Reiley
(19) Estland: „Bridges“ von Alika


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126 Comments
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togravus ceterum
Mitglied
togravus ceterum
1 Jahr zuvor

Ganz gleich was man von Victors Beitrag hält, denke ich, dass ein Ausscheiden Griechenlands im Halbfinale kaum möglich ist. Schaut Euch mal an, welche Länder da abstimmen dürfen: Zypern, Dänemark, Albanien, Rumänien, Armenien, Georgien … Das sollte locker reichen.

Gaby
Gaby
1 Jahr zuvor

Dänemark?

4porcelli - The Otter’s the best
4porcelli - The Otter’s the best
1 Jahr zuvor
Reply to  Gaby

Victors Vater ist? aus Dänemark.

togravus ceterum
Mitglied
togravus ceterum
1 Jahr zuvor
Reply to  Gaby

Ein Elternteil von Victor ist dänisch. Er heißt Victor Vernikos Jørgensen. 🙂

ESC1994
ESC1994
1 Jahr zuvor
Reply to  Gaby

@Gaby

Ich glaube er ist in Dänemark aufgewachsen. Man hat ihn wohl auch deswegen gewählt um aus dieser Ecke Punkte zu bekommen, die Nordländer lassen Griechenland meistens links liegen. Amanda vom letzten Jahr war ja auch eigentlich Norwegerin und schwupps gab es da im Televoting Punkte.

Gaby
Gaby
1 Jahr zuvor
Reply to  Gaby

Ach so…

Matty
1 Jahr zuvor

Dieses Jahr findet wieder die OGAE-Umfrage statt und heute veröffentlichte der Klub aus Zypern sein Ergebnis und da wird Griechenlan mit einem Punkt abgespeist:

https://eurovoix.com/2023/04/10/ogae-cyprus-ogae-poll-2023/

Leider sind solche Umfragen immer vorhersehbarer geworden, weil am Ende nämlich fast immer die gleichen Länder in den Top Ten zu finden waren.

ESCforETERNITY
ESCforETERNITY
1 Jahr zuvor

Die Griechen haben eine schöne Singer/Songwriter Nummer am Start. Ich vermisse zwar auch ein wenig die griechische Sprache, aber ich mag das trotzdem sehr. Dass Victor den Song in seinem Alter komplett selbst geschrieben hat, kann man nur den Hut ziehen. Wenn ich darüber nachdenke mit wievielen Problemen die junge Generation sich heutzutage so herumschlagen muss, macht mich das schon ziemlich traurig. Dass sich dadurch viele Ängste festsetzen und die Psyche leidet ist kein Wunder.
Ich hoffe Viktor schafft den Sprung ibs Finale, das hätte er wirklich verdient mit diesem Song😇

Jofan
Jofan
1 Jahr zuvor
Reply to  ESCforETERNITY

@ESCforETERNITY
Schöner Kommentar, den unterschreibe ich gerne. Auch wenn Griechenland zu meinen Lieblingsländern beim ESC zählt und die letzten Jahre immer in den Top Ten zu finden war, dieses Jahr aber nicht, bin ich trotzdem nicht enttäuscht worden. Ich hätte zwar lieber Melissa Mantzoukis mit ihrem schmissigen Dancesong „Liar“ beim ESC gehabt, aber Victors Lied berührt mich eben, obwohl es musikalisch sehr einfach gestrickt ist. Daher verdient er Respekt für seine Leistung, diesen Song mit 14 Jahren zu schreiben und heimst bei mir auch ein paar Sympathiepunkte ein.
Von mir gibt’s 6-7 Punkte, Platz 18/37. Leider sehe ich Victor sicher im Semi draußen, da ich nicht glaube, dass beim reinen Televoting noch die Diaspora-Boni greifen.

Gerd Geomax
Gerd Geomax
1 Jahr zuvor

Einer der schwächsten Beiträge aus Griechenland seit langer Zeit.
Wenn es wenigstens ein gut gemachter Popsong wäre, wie vor zwei Jahren bei Stefania (die ich zwar auch nicht mochte, aber ihr Song hatte einen gefälligen Aufbau), aber der Song weiß irgendwie nicht, wo er hin will. Soll es Uptempo oder Ballade, soll es konventionell oder doch rockig sein? Einzig die Stimmlage vom diesjährigen Nesthäkchen Victor beeindruckt. Aber dann wiederum dieses kaum verständliche verwaschene und mit Gewalt auf Cockney getrimmte Englisch, was nun mal seit Lena von nicht Muttersprachlern einfach nicht mehr originell ist. Gefällt mir insgesamt so ziemlich gar nicht, es gibt 3 von 12 Punkten und Platz 13 im zweiten Semi und Platz 32 insgesamt. Ich bräuchte es also nicht im Finale, aber die Auslosung mit Albanien, Australien und vor allem Zypern plus noch Dänemark sollte genügend Televote Stimmen bringen. Im Finale dann hinteres Mittelfeld.

escfrust05
escfrust05
1 Jahr zuvor

Pinkelpause.

JoBi
JoBi
1 Jahr zuvor

Ich finde den Song weder sehr gut noch sehr schlecht. In meinem Ranking ist er auf Platz 34 von 37. Ich vermute, dass er im Halbfinale hängen bleibt.

MarKe:-)
MarKe:-)
1 Jahr zuvor

Irgendwie erinnert mich der Song an „Rockstars“ von Malik Harris. Und ich befürchte, dass er ähnliche Probleme beim ESC erfahren wird. Es ist ein solider und gut anzuhörender Beitrag, der aber nicht für die große Bühne gemacht ist. Ich weiß echt nicht welche Inszenierung Griechenland auffahren sollte, um das Finale zu erreichen.

Teufelchen
Teufelchen
1 Jahr zuvor

Zündet bei mir nicht so richtig. Da fand ich Rockstars noch einen Ticken besser, weil aggressiver vorgetragen.

ag9
ag9
1 Jahr zuvor

Ich mag absolut nix an dem Beitrag. Außerdem finde ich den Typen eklig. Da ich zwei TeilnehmerInnen dies Jahr noch ekliger finde bei mir auf Platz 35. Ich hoffe natürlich auf ein Halbfinalaus, könnte auch klappen…

Unedeuxtrois
Unedeuxtrois
1 Jahr zuvor
Reply to  ag9

„eklig“ —- ernsthaft?
Donnerwetter, solche Kommentare machen mich betroffen.