Advent der liebsten Blogger-ESC-Momente (22): Michelle, Marcel und Fancy

Kürzlich berichteten wir Euch von einem Wiedersehen mit dem ehemaligen NDR-ESC-Chef Jürgen Meier-Beer (heute Jürgen Meier-Reese) anlässlich der Premiere von Ralph Siegels Musical „Zeppelin“. Jürgen Meier-Beer war NDR-ESC-Chef von 1996 bis 2004, in seiner Wirkungszeit fand die Popularisierung des ESC (mit boulevardesken Zutaten im besten Sinne), vor allem aber des deutschen Vorentscheids, statt. Nie davor und nie danach in der Zeit der GfK-Quotenmessung waren die ARD-Vorentscheidungs-Zuschauerzahlen höher (die Zwei-Sender-Zahlen der 70er-Jahre vor der GfK sind logischerweise höher).

Jürgen Meier-Beer und Nicola mit drei ESC-kompakt-Bloggern zu Gast in Füssen

Das Wiedersehen war – wie das dann so ist – ein willkommener Anlass, in Erinnerungen zu kramen – und dabei kam auch meine heutige adventliche Erinnerung zur Sprache, nämlich das deutsche Finale 2001 in der Preussag Arena in Hannover (so hieß die Halle auf dem ehemaligen Expo-Gelände in 2001).

Diese Show hieß „Countdown Grand Prix 2001„, obwohl der internationale Wettbewerb längt als „Eurovision Song Contest“ firmierte. 9,23 Mio. Zuschauer saßen bei dieser Show vor den TV-Bildschirmen, das ist weit mehr als das internationale Finale zuletzt in Deutschland erzielt hat. Und das ist auch mehr als die schlagzeilenstarken Primetime-Vorentscheid-Inszenierungen mit Guildo Horn im Jahre 1998 (7,65 Mio) und Stefan Raab im Jahre 2000 (7,82 Mio) erzielten.

Diese Werte waren umso beachtlicher, weil sie inmitten der Sturm-und-Drang-Zeit des Privatfernsehens in Deutschland erreicht wurde. Und das Privatfernsehen hat auch signifikant zu dem Quotenerfolg in 2001 beigetragen.

Denn diese Quote ist nicht allein der VE-Siegerin Michelle zuzuschreiben, die sich im Voting-Finale gegen Joy Fleming (mit Brigitte Oelke und Lesley Bogaert) mit ihrem Signature-Song „Wer Liebe Lebt“ (gerade neu produziert) durchgesetzt hat. Vielmehr haben vor allem zwei Helden des Boulevards für größtes Zuschauerinteresse gesorgt.

Da ist zum einen Zlatko Trpkovski, der ein Jahr zuvor als „Sladdi“ in der ersten Staffel von „Big Brother“ auf RTL2 für Traumquoten gesorgt hatte – bis heute der größte kommerzielle Coup in der Geschichte des Privatsenders aus der zweiten Reihe. Zlatko hat nachvollziehbarerweise das klassische ESC-Publikum polarisiert und provoziert, seine Abschiedsworte „Vielen herzlichen Dank, ihr Fotzköpfe!“ sind heute deutsche VE-Geschichte, Wikipedia-Eintrag inklusive. Ausführlich haben wir darüber auch schon aus Anlass von Zlatkos Promi-Big-Brother-Comeback berichtet.

Mindestens genauso wirkungsvoll wie „Sladdi“ war der Auftritt von Rudolph Moshammer, der zu dieser Zeit in 2001 seine erfolgreichsten Zeiten als „Modedesigner“ und (Krawatten-)Boutiquen-Besitzer auf der prestigeträchtigen Münchener Maximilianstraße bereits hinter sich hatte. Aber der Boulevard von BUNTE bis RTL Explosiv liebte das schlagfertige, unterhaltsame und durchaus auch selbstironische Daisy-Herrchen für die Stoffe, die er als „Entfant terrible“ mit Luxusleben spielte. (Unerwähnt bleiben soll nicht das große soziale Engagement von Rudolph Moshammer in München, u.a. für Obdachlose und Alkoholabhängige.)

Auch jenseits von Sladdi und Rudolph Moshammer war der Vorentscheid illuster besetzt. Es gab einen stark übergewichtigen „DJ Balloon„, der auf einem martialischen Motorradgespann als Techno-Gladiator in die Preussag-Arena einfuhr, und Ralph Siegel war gleich mit zwei Titeln dabei, wurde dann mit Lou und den German Tenors Dritter und Vierter. Der Interpet mit der größten Street Credibility zu jener Zeit (Wolf Maahn) wurde letzter (Platz 12).

Ich mag an dieser Stelle zugeben, dass ich einen „weak spot“ für boulevardeske ESC-Inszenierungen habe, erst Recht dann, wenn sie so wirkungsvoll (in Bezug auf das Ziel, maximale Aufmerksamkeit zu erzielen) und augenzwinkernd dargeboten werden wie 2001. Wir fuhren in jenen Jahren (98-04) jährlich mit einer großen Clique (Hi Coco, Hi Teena, Hi Markus, Hi Andreas und viele liebe andere) zum deutschen VE (aber bis auf 2004 nie zum internationalen Finale) und irgendwie gelang es uns auch meistens, bei der After-Show-Party dabei zu sein. In 2001 fand diese Party in der Lobby und den Konferenzräumen des Hotels statt, dass direkt neben der Preussag Arena lag und zu fortgeschrittener Stunde fanden wir uns mit zahlreichen Protagonisten aus Big-Brother-Staffel-1 und Big-Brother-Staffel-2 auf der Tanzfläche (es wurde keine ESC-Musik gespielt). Die Namen kenne ich heute alle nicht mehr, aber damals waren die alle irgendwie mega-prominent, Sladdi schaffte es sogar auf den stern-Titel.

Die Meier-Beer-Jahre waren vor allem wegen des Cliquen-Erlebnisses etwas ganz erinnerungsstarkes (alles war noch irgendwie überschaubar) und jedes Jahr gab es ausreichend Trash, in den man sich mit abstoßend-anziehender Faszination verlieben konnte. An zwei Titel davon erinnere ich mich besonders gern, beide aus dem Stefan-Raab-VE 2000 in Bremen, bei dem das übrige Teilnehmerfeld eigentlich nur Staffage war.

Marcel war mir peripher schon ans Herz gewachsen bei einer Aufzeichnung der ZDF-Hitparade in der Hamburger Fischauktionshalle während des Schlagermoves. Sein Titel „Bin ich zu jung, Dich zu lieben?“ ist heute bei Schlager-Spezialisten Kult. Mit der legendären Zeile „Mein Herz ist so schwer, selbst der Wein schmeckt nicht mehr“ bewarb es sich mit seinem Song „Adios“ für das Ticket nach Stockholm und wurde Letzter (Platz 11). Am Ende der „Countdown Grand Prix 2000“-Show sangen alle Acts zusammen ABBAsThank You For The Music“ und jeder hatte einen einzeiligen Solopart. Marcel hatte sich seine Textzeile mit Filzstift auf die Handinnenfläche geschrieben und las das, als er dran war, so konzentriert ab, dass die Kamera ein weiteres Dokument der ESC-Geschichte einfangen konnte.

Als Fancy mit „We Can Move A Mountain“ beim deutschen Finale 2000 antrat, lag sein größter Hit in den deutschen Charts (Platz 11 mit „Slice Me Nice„) bereits sechszehn Jahre zurück. Mit „Mountain“ konnte er nicht wirklich an seine Discofox-Zeiten anknüpfen, aber obwohl der fünfplatzierte VE-Song schon 2000 sehr aus der Zeit gefallen war, ist er heute auf ESC-Partys eine wahrhaftiger „guilty pleasure“-Hit und der von mir in dieser Reihe schon gefeierte DJ Ohrmeister spielt ihn immer wieder mal. Außerdem, finde ich, hat der Text etwas sehr energetisches.

Der Claim „We Can Move A Mountain“ in Kombination mit „Adios“ sind für mich auch passende Schlussworte, mich von Euch vor den Weihnachtstagen zu verabschieden. „Zwischen den Jahren“ melde ich mich dann wieder. Bis dahin sage ich „Adios“ und wünsche Euch besinnliche und wunderschöne Festtage. Und – gerade mit Blick auf die anspruchsvollen Zeiten – nicht vergessen: „We Can Move A Mountain“ – jetzt erst Recht. Es hat Spaß gemacht, mit Euch in (meistens ABBA-esquen) ESC-Erinnerungen zu kramen.

Das Schlussbild entstand Anfang der 80er-Jahre in London, als ich meine letzte ABBA-Vinyl-Maxisingle kaufte, ein hochgehandelter Disconet-Remix von „Lay All Your Love On Me„. Mehr zu ABBA gibt es nach Weihnachten. Wir (die ESC-kompakt-Community) wählen dann den besten ABBA-Song aller Zeiten, die neuen Songs von „ABBA Voyage“ inklusive. Inspirationen gibt es hier.

 

Bislang in unserem Adventskalender erschienen:

(1) Mein „erstes Mal“
(2) Die BRAVO und ein Kindheitstrauma
(3) Der ESC 2000 in Stockholm
(4) Ein Hoch auf Moya Doherty
(5) Null Punkte und das Comeback von Ann Sophie
(6) Abba 1979 live in Dortmund
(7) Der Euroclub in Kiew
(8) Jamalas Sieg in Stockholm
(9) Hier geht es nicht um Oslo und Lena
(10) Deutscher Vorentscheid 2019 und Eurovision in Concert in Amsterdam
(11) Aufregung nach einem Jahr ESC-Entzug
(12) Mamma Mia Musical Premiere in Hamburg
(13) Das ECG-Treffen 2021 mitten in der Coronazeit
(14) Fitnesstraining mit Birthe Kjær
(15) Mit dem Kassettenrekorder vor dem Fernseher
(16) Måneskin katapultieren den ESC auf die globale Chartbühne
(17) Twelve Points für „ABBA Voyage“
(18) Feuer und Flamme für „Taken By A Stranger“
(19) Viermal 12 Punkte – und 65 Jahre ESC-Voting-Geschichte
(20) Loreen holt sich den Sieg im Melodifestivalen
(21) ESC-Ekstase in Australien und die Dami-Army

2020: Advent der besten DACH-ESC-Beiträge
2019: Advent der besten ESC–Momente


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7 Comments
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Matty
Matty
2 Jahre zuvor

Zlatko „The Brain“ Trpkovski konnte man zu Beginn des neuen Jahrtausends zu den Realitystars zählen, doch mittlerweile ist er in der Versenkung verschwunden. Seinen besten Kumpel Jürgen Milski machte als Moderator und Kandidat beim Dschungelcamp und „Let’s Dance!“ und „Kampf der Realitystars“ weiterhin Karriere.

Rudolph Moshammer beim deutschen ESC-Vorentscheid kommt mir heute immer noch befremdlich vor, aber was macht man nicht alles für die Publicity! Heute ist er mit Daisy an einem besseren Ort. Kaum zu glauben, daß er vor fast 17 Jahren schon verstarb.

Vondenburg
Vondenburg
2 Jahre zuvor

Also beim 2000-er Vorentscheid bleibt mir besonders Knorkator in Erinnerung:
https://www.youtube.com/watch?v=o2YRLLA95Z8

Der Beitrag hatte damals richtig eingeschlagen und hatte der Truppe einen richtigen Erfolgsschub gebracht.

Nilsilaus
Nilsilaus
2 Jahre zuvor

Ich war 2001 auch live in Hannover dabei. Marcel…ach ja… Seitdem hat man(n) nichts mehr von ihm gehört oder gesehen. Er war damals ein echter Shootingstar. Sein Lied „Adios“…naja, lassen wir mal so stehen.

Was macht Marcel heute? Weiß das jemand?

togravus ceterum
Mitglied
togravus ceterum
2 Jahre zuvor

„Wer Liebe lebt“ ist einer von nur ganz wenigen deutschen Schlagern, die ich wirklich gerne höre. 🙂
Und ich wünsche Peter, der sich hiermit in den Weihnachtsurlaub verabschiedet, schöne und erholsame Feiertage.

Gaby
Gaby
2 Jahre zuvor

Die VEs 2000 und 2001 waren schon wirklich tolle VEs (mMn). Im Jahr 2000 waren E-Rotic, Kind of Blue und Corinna May Meine Favoriten, aber Fancy war auch irgendwie kultig.🙂)
Im Jahr 2001 mochte ich besonders gerne Michelle, The German Tenors und Soultans.

Auch von mir, lieber Peter, schöne, erholsame Feiertage und herzlichen Dank für die tollen Advents-Türchen.🙂

Karin
Karin
2 Jahre zuvor

Was für ein fürchterlicher VE, hab noch mal kurz reingehört, ausser an Zlatko zum Fremdschämen kann ich mich so rein an gar nichts erinnern.
Mir war natürlich Wolf Maahn am liebsten damals, wobei ich aber auch nicht so genau wusste, was der beim ESC hätte sollen.
Michelle für mich ganz fürchterlich, die kann nicht singen, da tut mir alles weh.

Ansgar
Ansgar
2 Jahre zuvor

Das waren noch Zeiten. 2001 bin ich zum ESC gestoßen, von daher haben diese Vorentscheide unter Meier-Beer (der war übrigens bis 2005, nicht 2004!) einen besonderen Platz in meinem Herzen.